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Kleine Bilder aus England : 2. Brighton
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Mal diese Gewässer, nie hatte ich eine Fahrt ohne Stnrm, nie sah ich vom Ufer das Meer anders als in halcyonischer Stille. Es mag Zufall gewesen sein, ich will die Nordsee nicht verleumden, aber gewiß ist, daß sie bei allen Seefah­rer» im schlimmsten Ruf steht. Sie gilt für launischer als irgend eine See bei­der Hemisphären. Derg-el-man oceim" (die Nordsee) und derclmnnc-I" (der Kanal) verschlingen mehr Drcidccker sammt Thecrjacken, Waarenballen und Passa­gieren in eiuem Jahr als das mittelländische Meer , in fünf Jahren.S'ist eine böse, eine hackende See (-t clm^nnA sv»),Sir," sagte ein englischer Ma­trose an Bord der Venezuela vor Calais zu mir, nnd zeigte auf die Wellen hin­aus, die in wilder Balgerei sich tummelten;müssen immer raufen, sind Vollblut, sind unsere Kettenhunde, die hier im Salzwassergrabeu die Küste Altenglands be­wachen . . Unsereiner," fuhr er fort, eine Cigarre, die ich ihm bot, wie ein Hamster in die linke Backentasche schiebend nnd zerkauend,lacht dazu, aber euch Landskindern dreht's wohl deu Magen um, he?" Nnn, ich hörte, zum Ruhm der Nordsee, alte ausgepichte Scevögel erzählen, daß sie mehrmals nach Indien, Ca­nada und Brasilien geschwommen, ohne im frischesten Wetter den Appetit zu ver­lieren, darauf kamen sie zum ersten Mal in den Canal, und wie der Wind mit deu Wellen Gallop zu tanzen anfing, wo waren die Veteranen? Unten in der Kajüte, auf ihren Knieen lagen sie vor Neptun's Opferteller, dem Waschbecken, uud verrichteten ihre abschenliche Andacht so zerknirscht wie die gemeinste Landratte.

Doch kein Wort mehr von ihren Tücken, nnr ihrer Reize will ich gedenken, und das kann ich nicht besser thuu als indem ich im Geiste mich wieder auf den Uferabhang von Brighton hinlege, um gleich andern Badegästen Sonne, Seelnft und llolcv für nient« zu genießen. Sachte, mit zierlichem Damenschritt steigt die amphitheatralisch gebante Stadt Brighton vom Kamme der South-Downs bis ans Gestad herunter; die oberste Terrasse bedeckt sie mit kleinen Sommerwohnungen, zwischen die sich bescheidene Gärten schmiegen, tiefer unten entfaltet sie schon den Fächer großstädtischer Pracht und Schönheit, bis sie endlich im Angesicht des Meeres sich zu einem weiten Halbmond pittoresker Paläste ausdehnt, dessen blin­kende Hörner die ganze grüne See umarmen wollen. Vom Meere oder vom Ende des weit in die Fluth hinausgehenden Landnngsdammcs gesehen, macht die Fa^ade Brightons einen überraschenden Eindruck. Die flachen Dächer findet man überall in England, aber die bunte Masse von Vorsprüngen, luftigen Söllern und soliden Erkerthürmcn, die oft aus der Mitte eines Palastes sich weit heranswölbcn, und in die Vertheilung von Lichtern und Schatte» malerische Abwechslung bringen, gibt dem Ganzen den Anstrich einer halb antiken, halb mittelalterlichen Veste; man würde glauben zu träumen und im Traume ein Panorama von Troja oder Tyrns zu sehen, wenn Einem die rothe Abendsonne nicht aus einigen Dutzend moderner Spiegelscheiben entgegenblitzte, hinter denen bald ein Juwelier seinen Gold- und Brillantcnschmuck auslegt, ein Londoner Vogclhändlcr seine Kakadus