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sogar Abscheu vor Fleischspeisen eingeflößt, und er versichert, sich bis zum 12. Jahr nnr von Früchten genährt, und anch noch jetzt, obgleich er sich den Gewohnheiten der Welt gefügt, dennoch die Ueberzeugung bewahrt zu haben, daß der Mord der Thiere etwas Unmoralisches sei.
Die Mutter war eine von jenen „schönen Seelen," wie sie die Reaction gegen den Geist der Aufklärung, namentlich in den höhern Ständen, die Muße hatten, sich mit dem Zustand ihrer Seelen gründlicher zu beschäftigen, nicht selten hervorgebracht hat. Sie hat in fortlaufenden Tagebüchern ihren geheimen Umgang mit Gott aufgezeichnet. Von diesen Tagebüchern hat ihr Sohn 15—20 Bände aufbewahrt. Sie war eine von jenen Frauen, die nicht von der Höhe ihres Geistes, sondern von der Höhe ihrer Seele ans die prosaische Welt herabblicken. Der Ehemann, der überhaupt in den „Onüclcmces" kaum erwähnt wird, scheint diese Seele mit resignirter Verehrung angebetet zu haben, wie es einem Soldaten in Pension ziemt, dessen Gesichtskreis nicht weit über den Horizont seiner Uniform herausgegangen ist. Alle ihre Gedanken und Reden bezogen sich ans Gott, den guten Gott, dem man alles mögliche Schöne und Liebenswürdige zuschreiben kann. Eine Stunde des Tages, und eine bestimmte Allee im Garten, die den Profanen M verschloß, war diesem intimen Umgang mit dem Schöpser geweiht. „Was Gott zu dieser Seele sprach, weiß Gott allein; was sie aber zu Gott sagte, war theils salbungsvolle Neue über die leichten Fehler, die sie in der Ausübung ihrer Tagespflichten begangen, zarte Vorwürfe, die sie sich selber machte, um sich aufzumuntern, der göttlichen Gnade ihrer Lage immer besser zu entsprechen; theils leidenschaftliche Danksagungen für das kleine Glück, das ihr die Vorsehung zu Theil werden ließ; theils einige entzückende Betrachtungen über die Größe des Firmaments, das Heer der Sterne, die Schönheit der Jahreszeit, den Bau der Bln- men, der Insekten u. s. w. Alles das in ihrem Herzen aufbewahrt wie die Erstlinge auf einem Altar, uud entzündet vom Feuer des jnngen Enthusiasmus, der sich in Blicken, Worten, Gesten ausdrückt, uud dcu so die Blumen nnd die Sterne pernehmen." Sogar der Gang und die Haltung, in welcher sie diese Andacht ausübte, hatte etwas Jmponirendes. Diese Andacht, die zn ihrer Natnr gehörte, wie die Poesie, suchte sie ihreu Kiudern einzuflößen, sie hielt sie zu jeder Tageszeit zum Gebet nnd zum Ausdruck ihrer Empfindungen an, namentlich bei schönem Wetter, nm ihnen die Pflicht angenehm zu machen. Abends wurde den versammelten Domestiken aus einem Andachtsbuch vorgelesen.
Zehn Jahre alt, wurde Lamartine in die Dorfschule zu Bussteres geschickt. Per Vikar, der den Unterricht ertheilte, Abbv Dnmont, hatte in den Tagen der Revolution mit der Tochter eines geächteten Edelmannes eine romantische Liebes- gcschichte gehabt, und war nicht eben geneigt, sich um den Knaben viel zu kümmern. In spätern Jahren wurde er mit Lamartine näher bekannt, nnd gab ihm die Idee zu seinem Jvcelyn. Was er ihm vorläufig an Bildung mittheilte, war