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In den Eltern Lamartine's lag also ein scharfer Contrast. Die Mutter hatte, was damals an Geist und Seele irgend aufgewandt werden durfte. Der Vater, um 20 Jahre älter, war ganz Soldat; während seines Aufenthalts in der Provinz war die Jagd seine einzige Beschäftigung; in der Garnison der Dienst. Sein Regiment war ihm wie eine Familie, sein Stand sein höchster Ehrgeiz; militärisches Ehrgefühl und schrankenlose Loyalität sein Cultus.
Die Heirath fällt in die Zeiten der constituirenden Versammlung. Der Chevalier trat nicht aus dem Dienst, er sah in der Revolution vorläufig nichts anderes, als eine Gelegenheit, unter Umstanden für deu Köuig einzutreten und gegen die Unordnung zu kämpfen. Uebrigens war seine Familie liberal, wie es damals der Adel war ; der alte Herr sammt seinen Söhnen war in der Voltaireschen Philosophie ausgewachsen, und voll von dem Ruhm Lafayette's, mit welchem der zweite Sohn, der Abbe von Lamartine, gemeinschaftlich erzogen war, voll von den Bildern der amerikanischen Freiheit uud der Idee der Menschenrechte. Diese Neigung kühlte sich freilich mit der demokratische» Wendung des Jahres 91 ab, dennoch nahm an der Emigration keiner aus der Familie Antheil, der Chevalier gab nur seine Entlassung, und trat, um den König zu rette«, in den Tagen des. 1V. August unter die „Dolchritter." Im Kampf des 10. August wurde er gefangen genommen, durch einen alten Gärtner gerettet, und zog sich ganz in die ländliche Einsamkeit des Schlosses Milly zurück.
Die Ruhe des Hauses blieb nicht lauge uugestört. Die Jagd auf die Aristokraten veganu auch in der Grafschaft, und iu eiuer Nacht wurde die ganze Familie aufgehoben und in das Gefängniß von Antun geführt. Nnr Lamartine'S Eltern wurden iu M5,con eingekerkert, und Lamartine erzählt uns in seinen „Ou- Kileuces" eine Reihe eben so anmuthiger als rührender Geschichten, wie Liebe die beiden Gatten zusammenführte. Frau vou Lamartine correspondirte mit ihrem Gemahl durch Pfeile, die sie iu seiu Fenster schoß, und der Chevalier ließ sich in einer Nacht vermittelst eines Seils über die Straße aus einem Fenster in das andre ziehn, um seine Gattin zu besuchen. Nicht immer beucchmeu sich die Blattröcke barbarisch. Als die Mutter einmal mit Zittern zusah, wie ein Jacobiuer den kleinen Alphons auf seinen Armen schaukelte, sagte dieser: „Fürchte nichts, Bürgerin! wir Republikaner haben auch Kinder. Dein Knabe ist hübsch geuug für ein Aristokratenkind; erziehe ihn für's Vaterland und mache einen Bürger daraus."
Der 9. Thermidor öffnete die Gefängnisse. Bald darauf starb der Großvater, seine Güter wurden vertheilt, und der Chevalier blieb mit seiner Familie und dem mäßigen Einkommen von 3000 Limes auf dem Schlosse Milly. Er saß Abends am Kamin und las seiner Frau und den Kindern — auf Alfvns folgten mehrere Töchter — aus Tasso's befreitem Jerusalem vor, iu der Ueberschung von Lebrun. Lamartine erzählt uns, daß er noch im spätern Alter jenes Buch be-
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