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Die flämische Sprachbewegung und Hendrik Conscience.
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setzt seinen Hauptreiz. Vor uns liegt seinJakob von Artevelde"*), welcher in einer hiesigen Buchhandlung erschienen ist, deren Verdienst in Verbreitung der stammverwandten Literatur mit Dank anerkannt werden muß. Es fehlt diesem Rvmau sast an Allem, was die deutsche Kritik lobend hervorheben könnte. Wir können kein Interesse an den Helden nehmen, denn ihre Jdealisirung'ist dürstig. Ueberall entweder weißes Licht, oder schwarzer Schatten, die Tugendhaften sind Nhetorikcr, die Bösewichter sind Jutriguantcu, nach der alten Schablone. Der Dichter versteht es nicht, die kleinen epischen Züge, durch welche die Figuren uus anschaulich uud interessant werden, zu schildern, weil er sie nicht deutlich genug empfindet; wo er es versucht, ist er ungeschickt. Auch der Ton des Romans, die breite, rhetorische und doch an Detail arme Manier der Erzählung haben wir in Deutschland längst überwunden. Nur eines hat der Flamänder voraus, was aller- diugs seiue Kunst noch nicht erhöht, er ist ein moderner Patriot. Es ist bei ihm fast immer das Treiben einer Commnne, der enge Kreis einer tüchtigen Genos­senschaft, aus welcher sich einige bedeutende Persönlichkeiten erheben, und die In­teressen, um welche es sich handelt, sind einfach uud leicht verständlich, weil sie großentheils noch jetzt bestehen. Leider weiß Conscicnce den guten Grund, welchen er hat, uicht zu benutzen, nud mit demMoland von Berlin unsers Willibald Alexis ist sein Jakob Artevelde gar nicht zu vergleichen.

Bedeutender ist er in seinen kleinen Novellen, wo er genrehaft Zustände des Volkes aus der Gegenwart schildert. Sind es doch auch diese Arbeiten, welche ihn in Deutschland bekannt gemacht haben. Nur mnß man auch hier nicht zu viel erwarten. Alle seine Figuren sind in eine Sentimentalität getaucht, die sie künstlerisch unwahr macht und ein dauerndes Behagen nicht aufkommen läßt. Der Rekrut*) ist eine solche flaemische Dorfgeschichte. Viel Rührung und Weichher­zigkeit, eine bedeutsame Traumerscheinung der Mutter Gottes, und gute Menschen, welche für ihre Güte vom Himmel belohnt werden. Aber trotzdem ist die Erzäh­lung das Product einer Dichterkcat, keiner großen, umfangreichen, sondern einer liebenswürdige», kleinen, warmherzigen Natur, welche sich Freunde erwerben wird auch unter den Ungläubigen, aber schwerlich geeignet ist, der schönen Litera­tur einer neuen Sprache Halt, Charakter und Richtung zu gebeu.

*) Der Rekrut, Aus dem Vlämischen übersetzt von Philipp Gigot. Mit -t Illustrationen von Dujardin. Brüssel. Leipzig, Kießling und Comp, 1850.

**) Jacob von Artevelde. Historischer Roman. Unter Mitwirkung des Verfassers, deutsch von O, S. W, Wolff. Leipzig, Carl B. Lorck. 1349.

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