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von vielen Wassergräben umzogenen Beete — den größten Stolz der Erfurter — herabsieht. Wem die Brunnenkresse nicht ein volles Genüge gewährt, der wird in Erfnrt wenig Befriedigung finden. Die Stadt, vor Jahrhunderten ein bedeutender Handelsplatz, ist von ihrer mittelalterlichen Größe längst herabgesunken; auch „kein Dalberg" ist mehr da. Die französische Gewaltherrschaft ist nicht mit leisen Schritten hier aufgetreten, und hat dauernde Spuren hinterlassen. Für ihren Druck konnte das Parterre der Könige, welches die erstaunten Erfurter im Jahre 1808 in ihrem Theater sahen, keine Entschädigung bieten. Jetzt sind Bureaukratie und Militär die beiden hier herrschenden langweiligen Mächte; ein Theil der Bürgerschaft, die s. g. höhere, schließt sich ihnen an, der andre Theil ist in jeder Beziehung charakterlos — (weder Katholicismus noch Pietismus macheu sich hier bemerklich) — und wird sich bald als Spielball eines pfiffigen Demagogen brauchen lassen, der sich die Mühe gibt, ihn zn dvminiren, — bald der gehorsame Diener der Willkür sein. In der Politik sind nur die äußersten Richtungen vertreten, die sich mit Erbitterung bekämpfen. Denunciationen sind nicht selten. Deutsch zu werden bemüht man sich jetzt, des Parlaments wegen. Das Familienleben ist philiströs, die Gesellschaften ohne Leben, der Ton kleinstädtisch. Die Frauen zeichnen sich durch den Mangel an Anmuth aus, ihren auffallend graciösen Gang schreibt ein Schriftsteller über Erfurt, der Medicinalrath Horn, dem schlechten Straßenpflaster zu. Früher muß Manches anders gewesen sein. Als Göthe vor siebzig Jahren-seiner Freundin Charlotte Stein ans Erfurt schrieb, er'sei hier in Gesellschaft gewesen mit „niedlichen Wisels," — damals war das Straßenpflaster besser, oder die Hypothese des Herrn Horn ist unrichtig.
Indeß scheint den Erfurtern klar zu werden, daß den hiesigen Zuständen eine Aenderung noth thue. Vielleicht führt der Reichstag auch einen neuen Tag für die Stadt herbei.
Indem ich diesen Brief schließe, erfahre ich, daß Herr v. Radowitz für Erfurt zum Reichstage gewählt ist. Zugleich geht die telegraphische Nachricht ein, daß unser früherer Abgeordneter für die Frankfurter Neichsverfammluug, Graf Keller, der zu den Edelsten der deutscheu Partei gehört und hier deshalb allgemein mißliebig geworden, in Merseburg gewählt ist.
Den 31. Januar 1850.
Friedrich Bodenstedt: Tausend und Ein Tag im Drient.
(Berlin, 1850. Verlag der Dccker'schen Hofbuchdruckerei.)
Der Name des Verfassers ist durch seine frühern Schriften: „Die poetische Ukraine" und „Die Völker des Kaukasus" dem großen Publikum, der jonrnalisti-
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