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Polnische Processe.
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gewöhnlich bleiben. Es ist gar nicht selten, daß man ans Ehrfurcht vor diesem kaiser­lichen Gesetz Subjecten, wie das oben beschriebene, academische Abgangszeugnisse nnd Prüfnngsatteste nachträglich anfertigt. Wer will daran zweifeln, daß ein acade- mischer Senat in Rußland zu Vielem bereit sei, was ein Oberst oder General des Heeres fordert?

Eine Berufuug auf's Gesetz bei Eutscheiduugeu, sowie eiue Begrüuduug des Verfahrens dürste nur wenigen der Nichter möglich sein. Die meisteil kennen das Jnstizgesetz des Reichs gar nicht, und es ist dies am Ende wohl gar uoch eill Vortheil, denn bei einem strengen Anhalten an das Gesetz wurden sich die Gerichte oftmals ganz hilflos und noch viel öfter wegen der Widersprüche desselbeu in der ärgsten Verwirrung bcsiudeu. Mau verfährt nach Meinung uud Gewohuheit, und so wird es auch gauz nngelehrten, uugebildeten Leuten möglich, iu Iustiz- ämtern etwas zn leisten, denn es gehört dazu nur einige Zeit als Gerichtsschreiber, Amtsbote oder ähnliches Wesen dem Schaffeil uud Treibeu mit Aufmerksamkeit zugesehen zu haben.

In der That habeu die meisten Instizbeamten iu Poleu ihre Carriere als Schreiber begonnen nnd durchaus keiue gelehrte Bildung mit iu das Amt gebracht. Die aber, welche sich eines Besseren rühmen, haben den polnischen Gymuasialcursuö gemacht.

Deshalb ist das Bestechuugssystem hier zn Hause. ES läßt sich behaupten, daß die Bestechung, dnrch alte Gewohnheit znm Gesetz erhoben, die Richtschnur der Gerichtshöfe sei und die entscheidende Rolle spiele, denn ihr fügt sich Alles, was etwa als gegebenes oder improvisirtes Gesetz Geltung haben könnte. Wer die zum Nehmen immer geöffneten Hände der Gerichtöpersonen tüchtig mit Geld zu füllen im Stande ist, der hat unbedingt alle Gesetze des Reichs für sich, er ist der Gerechte, kein Mensch, kein Gott ändert dieses Erkenntniß, am weilig­sten ein Appellationsgericht, das natürlich von denselben Gruudsätzen beherrscht wird. Die Advocatcn passen vortrefflich zn den Gerichtshöfen. Sie sind übrigeuö die Per­sonell, welche die Gesetze immer noch am besten kennen. Auch voll ihueu haben nnr die wenigsten stndirt, obgleich eine Verordnung besteht, uach welcher die Advocateu eiue Uuiversität besucht habeu solleil. Allem dies ist für deu Poleu nicht so leicht, da Petersburg uud Moskau sehr entfernt sind und Wilua von, seiner Universität seit W1 nichts weiter besaß, als den Lehrstnhl der Chi­rurgie uud der Thierarzneikuude (auch dieser ist jüugst aufgehobeu wordeil). Daher ist der Besuch der Uuiversitäteu für die Polen so kostspielig, daß er nnr wenigen möglich ist, am wenigsten denen, die sich dem Amtsdienst und der Advocatur widmeu, deuu diese siud fast durchgeheudS arme Teufel reiche Polen verzich­teten bis auf die neueste Zeit auf deu russischeu StaatSdieust. Zu Advocatnren aber siud vorzugsweise die Polen befähigt, weil die Advocatcn den Gebrauch der Landessprache nicht entbehren können.