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Lamartine`s neueste Schriften.
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Lamartine's neueste Schriften.

Nach seinem verunglückten Versuch, den Negeraufstand iu St. Domingo dramatisch zu bearbeiten, uud nach der Rückkehr von seiner zweiten Reise in den Orieut, wo er sein fabelhaftes Paschalik besucht und sich dem Sultau vorgestellt hat, sind von Herrn v. Lamartine wieder drei Schriften erschienen: ein Roman (-enLviövö, die Nouvelles ^onliäeneLs und eine Reihe politischer Erbauungsreden in der vou ihm redigirteu Zeitschrift: 1o ConLeiller 6u ?eux1e.

Alle drei habeu eiueu ähnlichen Charakter: sie sind bestimmt, die srüheru Poesien des Verfassers durch augeblich aus dem Leben gegriffene Züge zn illnstriren, die aber wieder nichts weiter sind, als ein Mittelding zwischen Wahr­heit und Dichtung, mit viel rhetorischem Aufwand, weder durch Kunstsinn noch dnrch Wahrheit befriedigend, iu jener poetisirenden Prosa geschrieben, die weder au der Klarheit der echten Prosa, noch an dem Schwung der Poesie Theil hat.

Der Roman Gen6vieve wird durch eine sehr lauge historisch-philosophische Vorrede eingeführt. Es ist dieselbe an eine Näherin in Aix, Mlle. Reine, adresstrt, die sich in ihren Mußestunden mit der Lectnre poetischer Werke be­schäftigt, und namentlich an den Verfen uusers Dichters großen Geschmack gesunden hat. Herr vou Lamartine gibt ihr einen knrzen Abriß der allgemeinen Literarurgeschichte, in welchem er ihr auseinandersetzt, wie keiner der bisherigen Koryphäen der Weltliteratur, Plato, Sophokles, Miltou, Corneille, Calderon, Cer­vantes u. s. w., den hauptsächlichsten Anforderuugcu, die man an den Dichter stellen müsse, genügt habe: uämlich für das Volk zu schreiben. Diesem tiefge­fühlten Bedürfniß soll nun abgeholfen werden. Man sieht, unser Gutzkow mit seiner Theorie desNebeneinander" undNacheinander" steht nicht allein. Nach den Dichtern folgt eine Kritik der Geschichtschreiber, die sammt und sonders an dem nämlichen Gebrechen leiden sollen. Die Abhandlung ist von einem wahr­haft impertinenten Dilettantismus; abgesehen von den mehrfach darin vorkommen­den Schnitzern, die man keinem Schüler verzeihen würde, ist über keinen der behandelten Gegenstände etwas gesagt, was zur Sache gehörte. Es siud lyrische Phantasien über Werke, die Lamartine entweder niemals studirt, oder gänzlich vergessen hat.

Was den Roman betrifft, so soll die Heldin desselben eine Ergänzung und Erlänterung zu der zweiten Person des Gedichts Jocelyn sein (Marthe), wie der Abbö Dumout in den ersten Cousidenceö eine Ergänzung zum Jocelyn selbst. Durch eine solche nachträgliche Erläuterung tragen die Dichter nicht viel zu dem Geuuß bei, welchen uus ihre srüheru Schöpfungen gewähren; sie zerpflücken die Blume, die uus uur als Gauzes ausprach, und geben uns dessenungeachtet keine wirkliche Analyse, denn die Phantasie geht doch mit ihneu durch. Wir habeu eiue

Grenzboten. IV. 1850. . 107