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irgend der Stoff es zuläßt, auch jene paradoxe Genialität, die durch scharfe Betonung irgend eiuer Seite dem Bilde ein vollständig verändertes Ansehen gibt. Das Maxünum in dieser Art ist die bekannte Kritik über Hamlet, die damit schließt, daß der König eine noble und würdige Persou wird. Diese Neigung, die sittlichen Begriffe umzukehren, theilt Borne mit Heine, der auch lieber „ungeheure, colossale" Laster habeu wollte, als die unästhetische Moral; der für das russische Reich schwärmte, weil es ihm imponirte, der einer Agrippina und Lucretia Borgia, weil sie sich eines wohlgeformten Beins erfreuten, alle die unschuldigen Kleinigkeiten, wie Giftmischerei, nachzusehen geneigt war. Bei Borne ist das nicht Frivolität des Gemüths, denn in diesen bürgerlichen Dingen ist seine Gesinnung ziemlich fest und gesuud, soudern die bei einem recht verstockten „gesuuden Menschenverstand " fast immer vorkommende Neigung, der Abwechselung wegen einmal über die Schnur zu hauen.
Auf uusere ästhetische Kritik hat Bvrue fast ebenso nachtheilig gewirkt, als auf uusere politische Emvsindnng, und zwar aus denselben Gründen. Die Kritik hat die Aufgabe, durch grüudliche Verarbeitung des gegebenen Stoffs die Principien hervortreten zu lassen, und umgekehrt, die Principien ans die Gegenstände anzuwenden. Börue's Kritik macht sich weder ernsthaft mit den Gegenständen zu thun, noch geht sie von Principiell ans; sie ist trotz mancher, nicht zu verkennenden Verdienste im Einzelnen, als Ganzes betrachtet, ein Spiel der snbjectiven Eitelkeit. Zwar ist sie mit so viel Talent geschrieben, daß wir noch heute diese Sammlung von Recensionen über ziemlich gleichgültige Bücher nicht ohne Interesse lesen. Es ist ein anmuthiges Geplauder, das uns besticht, wenn eö uns anch nicht belehrt. Am liebenswürdigsten, wenn es nur Geplauder ist und gar keinen Inhalt hat, wie der Aufsatz über Heuriette Sonntag, mit dem er in Frankfurt seinen Ruf begrüudete. Aber je größer der Erfolg dieses unverkennbaren Talents war, desto mehr hat es seine Nachfolger verführt, buhlerische Küuste zu treiben. Die Entartnng unserer Kritik in inhaltsloses Fenilleton-Geplander ist um so nach-- theiliger, da eiue ernste, conseqnente, von ihrem Gegenstand und ihren Principien wahrhaft erfüllte Kritik allein im Stande ist, uusere Literatur aus der babylonischen Verwirrung zu führen, in der sie jetzt befangen ist. ^. 8.