815
Beurtheilung finden lassen, zumal iu dem vorliegenden Falle eine Täuschung ihm die Augen blendet. Diese Täuschung besteht iu Gade's Weise, zu instrnmentiren; er übertrifft dariu Schumauu, ja selbst Mendelssohn, denn wenn dieser auch feinere Effecte zu crzieleu mußte, so zeichnet sich Gade doch durch größere Mannigfaltigkeit und durch eiuen gewissen Pomp aus. Besonders diese letzte Eigenschaft ist es, welche bis jetzt verführt hat, die so schön anögeschmückten Phrasen zu überschätzen und iu ihueu eiuen Sinn und eiue Bedeutung zu suchen, die keineswegs darin liegt. Die Euttäuschuug hat übrigens bereits begouueu, weuigstens haben die letzten Aufführnugeu der Ouvertüre iu Oclur (No. 3) und der K-dm- Sinfonie im Publicum hier und da Verwunderung hervorgerufen, wie man jemals in so enthusiastischem Beisallsäußeruugeu sich habe ergehen können. Die Ouvertüre iu Oäur, offeubar in der Absicht entstanden, einen Pendant zu Beethoven's ox. 124 zu geben, bestehtnnr in einem Aneinanderreihen einzelner kleiner Sätzchen, ein wirklich ausgesprochenes Motiv bietet nur der Mittclsatz, uud desseu Kraft besteht mehr im Rhythmus, als in der Melodie. Diese Schwächen sind sorgsam überdeckt durch eiue pomphaste Instrumentation, dnrch einen Aufwand von Orchestermitteln, iu so übertriebenem Maaße angewendet, daß am Schlnsse derselben der Hörer kein anderes Gefühl übrig hat, als das der Uebersättiguug. Die kurze Receusiou eiues Musikers, der sie als Ouvertüre vor das Lustspiel „Viel Lärm nm Nichts" gestellt wissen wollte, ist zwar hart, aber fast wahr.
Die zweite Sinfonie in K leidet an denselben Fehlern, nur treten sie nicht so offen heraus. Das Thema des ersten Satzes besteht aus dem zweiten Takte der Schubert'schen Ocwr Sinfonie; es kehrt unaufhörlich wieder, wenn auch in der Schreibweise und in der Instrumentation modisicirt. Kunstreiche, contrapuuk- tische Vcrwebuugeu uud Combiuatioueu fehleu iu der Durchführung; lose neben einander gestellte Reminiscenzen vermögen diese Mängel nicht zu ersetzen. In diesem Werk zeigt sich am deutlichsten Gade's genüge Neiguug zu kunstreicher Verarbeitung; er liebt das Großartige uud Einfache, vermag es aber nur durch deu Pomp der Instrumentation herzustellen. Der zweite und dritte Satz, Audante uud Scherzo, smd iu ihreu Motivcu besser, der letzte Satz ist eine bloße Nachahmung aus der ersteu Siufonie: nordische Volkslieder bilden seinen Hauptinhalt, wirken aber hier weniger, weil sie nicht mehr so originell und nen erscheinen. In der dritten Sinfonie in tritt das deutsche Element in den Vordergrnnd, doch ist in ihrer Constructiou keiu wesentlicher Fortschritt. Hervorzuheben siud aus ihr der zweite Satz, Andante, und der dritte, ein Charakterstück in höherer Tanzform, die Melodieu mit weuig uordischem Anstriche, die Instrumentation voll der feiusten und zartesteu Schattiruugeu.
Gade's Werke für Kammermusik bieten nach den bis jetzt besprochenen größern Tonstücken keine besondere Veranlassuug zu uähern Erörteruugeu; die frühern schließen sich mehr der Periode an, welche sich ans seine Nationalität basirt, sein