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den Göthe durchaus vermeidet — iu dem Spaziergang u. s. w.; nicht allein ist es der unsern heimischen Erinnerungen, Geschichten nnd Traditionen wesentlich fremde Stoff, der mit einer, nicht aus unmittelbarer Anschauung, souderu aus der Lecture hervorgegangenen Vorliebe und Hingabe behandelt wird, einer Hingabe, die eigentlich nnr einem erlebten, lebendig durchgefühlten Gegcustaud ziemt, sondern auch die sittliche Idee ist äußerlich hergeuommen. — Aber dann kommt auch wieder eine ganze Reihe gothischer Figuren dazwischeu, die sich ebeuso iu ein Maskenspiel verlieren. Man vergleiche z. B. den Ring des Polykrates mit dem Gang nach dem Eisenhammer. Für die moderne Bildung ist iu beideu die Pointe gleich unverständlich; dort der Neid der Götter, der bei jedem unerwarteteil Glücköfall ein grauenvolles Ereigniß voraussetzt, weil die Unsterblichen keinen ganz Glücklichen dnldeu mögen, hier die fixe Idee von einem Gottesgericht, das sich iu der Esse von ein Paar wüsten Handwerkern manisestiren soll. „Nun, ruft der Gras uud steht vernichtet, Gott selbst im Himmel hat gerichtet." Das ist die Poesie eines sinnigen Gelehrten, sie strömt nicht aus dem Herzen. Dazn das Costüm, das, wie hier der katholische Ritus, iu dem Fest der Ceres die Eleu- sinischen Gebräuche, mit einer solchen Virtuosität ausgemalt wird, daß man denkt, das eiue Mal rede ein Katholik, das andere Mal ein Heide. Dazu nehme man den ästhetisireudeu Katholicismns in der Maria Stuart uud die heidnische Schick- salsverwirrnng in der Brant von Messina, die nipstisch-spiritnalistische Grundidee iu der Juugsran von Orleans, von der man gar nicht mehr weiß, auf welche Art von Religion sie eigentlich zurückbeugen werden soll, uud die Astrologie iu Wallenstein, von der man auch uie recht ersiebt, ob es Spaß oder Ernst ist, denn einmal betrügen den Helden die Sterne, das andere Mal aber reden sie wahr, uud er hätte gut gethau, ihueu zu folgen; man nehme dazu die allerdings sehr schöue, siuuige Benutzung dc-s Aefchylus in den Kranichen des Jbykns, in welcher sich aber, ebeuso wie in Cassandra nnd vielen ähnlichen Balladen nur der orientiren kann, der das Alterthum kennt — uud man wird zugestehen, daß der Dichter sehr vielen Stoff, den er einer fremden Weltanschauung entlehnt, unverarbeitet gelassen nnd dnrch sein humanistisches Princip nicht vermittelt hat. Es ist dieser Stoff uicht ans dem Gefühl, nicht ans der Totalität des Dichters genommen, und er spricht auch uicht zum Aefühl, selbst uicht unmittelbar znr Phantasie, wir lassen uus uur durch deu sinnlichem Klang täuschen.
Der Humanismus jener Zeit war tolerant, weil er nicht der Ausfluß eiues unmittelbaren, schöpferischen Dranges war, sondern ans der Sehnsucht einer bleichen, „ entgötterten" Zeit hervorging. Unser Humanismus ist intolerant, weil er von einem Princip ausgeht.
Für deu Verständigen wird es kaum nöthig sein, zn bemerken, daß dies kein Vorwurf gegen Schiller sein soll. Nur die Einfalt kann mit Friedrich dem Großen darüber rechten, daß er sich mit Voltaire lieber beschäftigte, als mit Gott-
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