Z u m S ch i l l e r f e st.
11. Novembers)
Ich beabsichtige nicht eine Strohkranzrede, sondern eine ruhige Erwägung der Frage: in welchen! Verhältniß steht Schiller's Poesie ihrem Inhalt wie ihrer Form nach zu dem poetischen Geist der Gegeuwart?
Gauz unberücksichtigt bleibt dabei jene Epigonen-Literatur, die von dem Neliqnien-Trödel lebt, jene Naritäteukrämer, die mit eiuem Fleiß, der einer bessern Sache werth wäre, die große Frage untersuchen, wie oft in der Woche Schiller und Göthe die Strümpfe gewechselt habeu, uebst auderu gelehrten Abhandlungen von ähnlichem Belang. Anch die pseudophilosophischen Kommentatoren, die so viel Ideen in seine Werke hineinconstrnirt haben, daß sie eö für überflüssig hielteu, sie zu leseu. Dergleichen ist in einem wesentlich uuproductiven Zeitalter von der Pietät gegen einen großen Namen unzertrennlich, und es ist dabei wenigstens einiges Brauchbare zu Tage gefördert worden, wenn auch nicht viel.
Ich will auch uicht auf jeue, namentlich in uusern Leipziger Schillerfesten so häusig abgeleierte Ansicht eingehen, daß der Dichter des Marquis Posa im Gegensatz zu dem aristokratisch refignirten Göthe ein Sänger der Freiheit gewesen sei. Säuger der Freiheit in weiterem Sinne waren beide; mit der politischen Freiheit dagegen, wie wir sie verstehen, haben beide nichts zu thuu. In den Briefen über die ästhetische Erziehuug des Menschengeschlechts hat das Schiller mit so dürren Worten ausgesprochen, daß mau blind sein muß, wenn mau es uicht sieht.
Feruer lasse ich die erste Periode vou Schiller's dichterischer Wirksamkeit ans dem Spiel. Für das Studium jener Periode uud des Bilduugsgauges unsers Dichters siud die Räuber, Kabale uud Liebe, Fiesco, die Gedichte an Laura u. s. w. von großem historischem Werth, ihr politischer Gehalt ist aber sehr gering, und in der Weltliteratur finden sie keine Stelle. Wenn in der all-
Wir machen bei dieser Gelegenheit noch einmal auf den neuen Abdruck der Anthologie von 178? aufmerksam (Heidelberg, Bangel K Schmitt), die wir bereits in Heft besprochen haben.
Grenzboten. IV. 1850. 101