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Literaturblatt.
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Artus der Brille in einem Berge seiner Heimath. Dort sitzt er mit seinen Kriegern (schwarze Legion, eorna voiska) an einem Tische unter dem in der slavischen Volks­poesie so charakteristischen Lindenbaume, unter welchem alle Hanpt- und Staatsactionen vorzugehen pflegen. Ein Lied, das jedoch seiner sonstigen Unbedeutcndheit halber in die Sammlung nicht aufgenommen wurde, läßt ihn sogar, wie Orpheus um Eurydice, mit einer Geige in der Hand zur Hölle steigen, um seine todte Geliebte heraufzuholen, was ihm aber, da diese uutcrwegs das gebotene Stillschweigen bricht,'eben so wenig glückt, als seinem thrakischen Vorbilde. In solcher Art knüpft das Volk an die Per­sonen seiner Lieblingshelden ohne kritische Sichtuug dcrcu eigene und fremde Eigenschaf­ten, Handlungen und Erlebnisse, wie diese durch die Ueberlieferung zu seiner Kenntniß gelangt sind. Das belebende Element jener, nach dem Gesagten wohl größtentheils dem 16. und 17. Jahrhunderte angehörigcn romanzenartigen Lieder ist ein unersättlicher, oft in blutdürftige Grausamkeit ausartender Türkenhaß; bezeichnend und für echt volkstüm­liche Abkunft zeugend ist das Uebertragen der eigenen Anschauungsweise, Geschäfte und Hantirungen des Volkes auf seine Helden, der eigenen Sitten und Gebräuche auf fremde Volker, der gegen die nächsten Nachbarn sich kundgebende Provinzialhaß uud Spott u. dgl. m. Obschou Krains Volkslied sein nahes Verhältniß zur Poesie der übrigen slavischen Völker nicht verleugnet, steht es doch mit der serbischen Volkspoesie in aller­nächster Verwandtschaft. Wenn jedoch das serbische Volkslied, im Einklänge mit der Geschichte Serbiens, als wohlgegliedertes Epos zur Feier vaterländischer Helden, als stolzer Triumph- und Siegcsgesang nach glanzvoll beendigten Kriegen, breit und feierlich dahinrauscht, so klingt, eben anch im Einklänge mit der Landesgeschichte, Krains Volks­lied rasch und abgerissen, als kurze Romanze, als frisches Massenlied, wie es Nachts am Vorpvstenfeuer von wachenden Kriegern gesungen zu werden pflegt, die sich munter erhalten, die Nacht kürzen, vor allem aber den Faden, den jeder Augenblick durch Aus­zug oder Ucberfall durchschneiden kann, nicht über Gebühr ausspinnen wollen. Beach­tenswert!) ist in dem spätern Zeitabschnitte, bei wachsendem Verkehre mit deutschen Völ­kern, der allmälige Uebergang des altslavischen, gegenwärtig nur noch durch den serbischen repräsentirten Volksgesanges in die Ausfassungs- und Darstcllungsweise des deutschen Volksliedes, AehnlKhkeit der Motive und insbesondere die Aufnahme des den ältern Slaven fremden Reimes. Im 18. Jahrhundert verminderte sich durch die veränderte Art der Kriegsführung die Betheiligung des Einzelnen am Kampfe und mithin auch die des Volksliedes; so klingt aus den letzten Türkenkriegen ein LiedLondon vor Belgrad" bereits ziemlich matt uud farblos. Der gemachte halbofsieielle Patriotismus aus den Prcnßen- uud Franzosenkriegen konnte auch nur erzwungene Früchte tragen. In ueuerer Zeit ist mit der Physiognomie eines eigenthümlichen Volkslebens auch die des ältern trainischen Volksliedes in Allgemeinheit und Unbestimmtheit zerflossen und an seine Stelle ist ciue aus kümmerlichen Inspirationen ländlicher Prcsbyterien, Schul- und Trinkstuben hervorgegangen Liederkunst getreten, welcher das belebende Element wahrer Volkstümlichkeit fehlt, und der sich ans dem Volke selbst gereimte Klagen über er­höhte Salzpreise, Abführung der Geliebten als Rekruten, drückende Steuern und Frohn- dienste u. s. w. traurig beigesellten."

Verlag von F. L. Herbig. Redacteure: Gustav Freytag und Iutian Schmidt.

Druck von C. E. Elbert.