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Ein russisches Urtheil über Radowitz.
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Ein russisches Urtheil über Nadowitz.

Einen Minister zu tadeln, hält die moderne Presse nicht nur für ein Recht, sondern auch für eine Pflicht. Nadowitz, der vielbesprochene, vielgctadelte, wird natürlicherweise, nun er den Ministersitz, den deutschen Moquirstuhl, eingenommen hat, erneute und ver­doppelte Angrisse crfahrcu. Zeigen ihm doch auch die Grenzboten die scharfen, blendenden Zähne, die sonst immer ritterlich zuerst Front machen gegen jede Uebertreibung, jede blinde Manie des Tags uud sie in ihre Schranken zurückweisen. Mit der Sicherheit ihrer ehrlichen Kraft versprechen die Grenzbotcn zwar dem gequälten Minister, ihm seine täglich schwerer werdende Lage, unter gewissen Bedingungen, nicht noch schwerer zu machen. Aber weiß Gott, ob es daun nicht zu spät ist, ihren guten Willen auszuführen; das Mißtrauen, welches die Presse fortwährend aussäet, wird einmal sehr zur Unzeit giftige Früchte tragen.

Es ist vielleicht eine zu starke Zumuthuug, die wir an die Grenzboten stellen, trotz der allgemeinen Mode, gegen Nadowitz aufzutreten, auch einmal einige Frenndcsworte für ihn abdrucken zu lassen; wenigstens als Curiosität wird man ihnen die Aufnahme nicht versagen. Eine Art Curiosität ist aber uusere Mittheilung in der That; wir schöpfen sie aus einer Broschüre, die vor einiger Zeit in Karlsruhe gedruckt, aber nur für Freundes­kreise bestimmt, nicht in den Buchhandel gekommen ist. Der Verfasser hat sich zwar nicht genannt, wir kennen ihn jedoch und haben das Büchlein, unter dem Titel:Jo­seph v. Nadowitz, wie ihn seine Freunde kennen, Briefe eines Nichtdcut- schen in die Heimath", ans seinen Händen empfangen. Es ist Wassilei Jukowsky, der greise russische Dichter, der seit vielen Iahren in Deutschland und jetzt in Baden- Baden lebt. Wie er, der einstige Erzieher des russischen Kaisers, sich über die Einhcits- bestrebuugeu in Deutschland auöspricht, wird gewiß gern, weun auch nur als Curiosität gelesen werden. Das hohe Alter des Verfassers uud der Umstand, daß er zum ersten Male in deutscher Zuugc schrieb, wird ihm eine natürliche Anwartschaft aus die Nachsicht des streugcu Kritikers geben.

......Man muß die geschehene Revolution abschließen, ohne eine nene hervor­zurufen; man muß eine wohlthätige Reform schaffen, um die Anarchie, dnrch die An­eignung des Guten, welches in ihren gesetzlichen Erruugeufthafteu liegt, zu überwinden. Durch die Verwirklichung jeues Guten, d. h. dnrch das Erschaffen der wahren Freiheit und der kräftigen Einheit Deutschlands, werden die Regierungen die Führer der Revo­lution mit ihren eignen Waffen niederwerfen und für die Zukuuft jeden Vorwand neuen Aufruhrs unmöglich machen. Diese Führer waren dreierlei Art. Die Einen hatten zum Ziel die Revolution selbst, das heißt eine fortwährende, nur ihnen Vortheil bringende Anarchie. Das Ziel der Andern war allgemeine Errichtung der coustitutionellen Negie­rung in Dcutschlaud. Die Dritten wollten die Einheit Germaniens. Für Alle war der Weg und das Mittel die Revolution. Die Folgen sind vor unsern Angen: die Re­volution konnte uichts als Zerstörung hervorbringen. Was bleibt den Negierungen jetzt zu thun übrig? Mit den Ersten ist keine Vereinigung möglich, man muß ihnen den Krieg erklären auf Leben und Tod. Das Ziel der Zweiten ist erreicht; ganz Deutsch­land ist constitutionell geworden; die endliche Entscheiduug dieses allgemeinen Processes gehört jetzt jedem Staate im Besondern, für jeden ist es innere Angelegenheit geworden.