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Wochenschau.
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Gegner hat, welche die Regierung führen können; und daß weder die Tory'S noch die Peeliten dies im Stande sind, wird selbst von den Toryblättern Englands zugegeben. Es steht demnach zu hoffen, daß die Abdankung Russell's und Palmerston'S nur zu ciuer Modisieation des Cabiuetö führen und den Charakter einer Diseiplinarmaßregel gegen die eigene Partei annehmen wird. Ein Toryministcrium, welches sich in England nur bis zum nächsten Parlament halten könnte und eine ungeheure Erschütterung im Reich hervorrufen würde, wäre jetzt doch für Europa eiu ungeheures Unglück. Verbündete Ruß­lands. Freunde Oestreichs auf den englischen Ministerien, das hieße im Frühjahr Krieg in der Türkei, Italien, und rücksichtslose Demüthigung Preußens und Deutschlands.

Aus Wien. Es ist doch ein seltsames Ding um die öffentliche Meinung. Es giebt kein menschliches, kein göttliches Gesetz, das für die Machthaber maßgebend Ware. Sie achten weder die alten herkömmlichen, noch die* neuen, von ihnen selbst geschaffenen Satzungen. Weder in St. Petersburg, noch in Konstantinopel herrscht ein ähnliches Willtürregimcnt. Der Padischah ist an den Koran, der Czaar an die Ukase, unsere Negierung ist an nichts gebunden. Was sie heute feststellt, verletzt sie morgen; weiß sie kein anderes Mittel, so abolirt sie es durch einen permanenten Belagerungs­zustand, und dennoch liegt sowohl ihr, als den Militärdictatorcn daran, die öffentliche Meinung, die sie für gar nichts halten, die Stimmung des Volkes, auf das sie stolz« herabsehen, die Presse, welche sie als Organ der Schwätzer hochmüthig verachten, zn gewinnen. Die spärlichen, kümmerlichen Neste, der Brosamen der Märzerrnngenschaften, der sich in einigen vom Belagerungszustände verschonten Winkeln findet, und was in unserm faustrechtlichen Zustande nicht von Uebel geschieht, verdanken wir der Rücksicht, welche man noch immer der öffentlichen Meinung schuldig zu sein glaubt. So wetteisern bei uns Militär- und Civilregiernng, das Odium ihrer Miß- nnd Uebergriffe von sich ab- und einander znzuwalzen. Die Freunde Weldcn'S, die Militärs, versichern, er wünsche nichts Sehnlicheres, als den Belagerungszustand aufzuheben, seines Amtes als Civilgouverneur loS uud ledig zu sein; er habe es den Ministern oft genug gesagt, daß bereits der Belagerungszustand überflüssig sei, sie möchten selbst die Verantwortung ihrer Maßregeln übernehmen; aber die Regierung fühle noch immer nicht Kraft genug in sich, selbstständig und gesetzlich zn regieren. Wirklich hört man auch hochgestellte Mili­tärs sich häufig gegen den Belagerungszustand, gegen die Kriegsgerichte und kriegsrecht­lichen Urtheile ausfprechen. Es hat jedenfalls etwas für das Militär Ehrverletzendes, wenn man die Mauerauschläge liest, welche von Zeit zu Zeit die militärgerichtlichen Urtheile verkünden, Da werden gewöhnlich deren 30 bis 4V oder noch mehr publieirt. Die Vergehen sind der Art, daß sie im normalen Zustande selbst vor dem März gar nicht crimincll bestraft worden wären. Der Eine hat sich unanständig gegen eine Militärperson benommen; der Andere hat einen Polizeisoldaten wörtlich beleidigt; der Dritte hat sich überhaupt aufreizend benommen u. f. f. Dabei siud es meist Leute von der untersten Populaee, die sich solche schwere Vergehen zu Schulden kommen lassen: Tagelöhner, Gesellen, Hausmeisters- und sogenannte Fratschelweiber, die mit den Damen der Hatte in Paris wetteifern können, gewöhnlich im trunkenem Zustande. Die Schusterjungen siguriren auch dabei in nicht geringer Zahl. Dieses Genus von Gassenbuben spielte unter der Wiener Bevölkerung dnrch seine mnthwilligen Späße und launigen Streiche

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