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Englische Novellisten. I. : Charles Dickens.
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der Humor lediglich dann, daß Beides nebeneinander gestellt ist; weder in der einen noch in der andern Richtung ist etwas Humoristisches. Da machen es einem die Tageblätter bequemer, indem sie in der Reihenfolge ihrer Annoncen eine Freiheit und Naivetät beobachten, die weit über jenen studirten Contrast hinausgeht. Hoffmann's sämmtliche Werke, Heine, Jmmermann's Münch- hausen und ein großer Theil unserer jüngsten deutschen Belletristik fällt in diese Kategorie. Mit dem Auseinanderfallen der Momente (des Idealen und des Endlichen), deren Verwachsen die Poesie des Humors ausmacht, hört aber alle Kunst auf.

Ich wende mich nach dieser Abschweifung, die keinen andern Zweck hatte, als unserm Dichter seine Stellung im Gebiet des Humors anzuweisen, zn Dickens zurück.

Die Reihenfolge seiner Romane ist von den Pickwickiern an gerechnet: Nicolaus Nickleby; Oliver Twist; Humphry's Clock (darin als Haupterzählung: der Na- ritätenladen); Barnaby Rudge; Martin Chuzzlewit (zwischen diesem und dem vor­hergehenden liegt die Reise nach Amerika und die Noten darüber, welche jenseit des Oceans so viel böses Blut gemacht haben; zwischen ihm und dem folgenden die Reise nach Italien uud die Gemälde aus Italien); Dombey and Son; David Copperfield; außerdem eine Reihe kleiner Weihnachtsgeschichten, die Biographie des Clown Grimaldi und in neuester Zeit die Household-Words, ein Monatsblatt.

Eine Eigenthümlichkeit, die Dickens mit Shakespeare gemein hat, spricht sich schon in den Pickwickiern aus: der Haß gegen Heuchelei und Lüge. Die Sekti- rerei der Eugläuder hat allerdings eine Reihe häßlicher Erscheinungen hervorge­bracht, und schon Shakespeare kann nicht umhin, alle Augeublicke auf die augen­verdrehenden Puritauer zurückzukommen, deren scheinheiliges Wesen den spätern Theil seines Lebens verbittert zn haben scheint. Es wäre aber ein falscher Schluß, wenu mau aus dem häusigen Vorkommen solcher satyrischer Charakterbilder bei den englischen Dichtern die Ansicht gewänne, in England seien die Tartuffes häu­figer als bei uus. Im Gegentheil ist es ein Zeichen für den vorherrschend gesunden Sinn des englischen Volkes, daß diese frommen Männer nicht nur in jedem Nomaue tüchtige Schläge erhalten, wie der Methodist in den Pickwickiern, sondern daß sie auch stets eiuen komischen Eindruck machen. In Moliöre's Tar­tuffe spricht sich allerdiugs vorzugsweise der sittliche Ekel aus, aber daneben auch etwas Scheu; die Peksniffe uud ihres Gleichen erhalten schließlich ihren Fußtritt stets mit dem Gelächter souveräuer Verachtung. Ich köuute die Tartuffes in sämmtlichen Romanen verfolgen; einen erheblich ästhetischen Eindruck machen sie keineswegs. Sie gehören zn derjenigen Reihe Boz'scher Charaktere, welche nach der Schablone gearbeitet sind, indem sie nichts darstellen, als eine bestimmte Eigenschaft. Zwar kommt durch die sprudelnde Phantasie des Dichters immer noch Laune und Leben genug hiuein, namentlich ihr erstes Auftreten wirkt in der