Beitrag 
Preußen und der Zollverein.
Seite
143
Einzelbild herunterladen
 

143

muß anerkennen, daß sie mit Tact und Weisheit bei den Vorschlägen, welche sie zur Kasseler Conserenz brachte, dies große Ziel im Ange gehabt hat. Es wird nicht unnütz sein, den Sinn dieser Vorschläge nochmals ins Gedächtniß zurück- znrnfen. In seiner gegenwärtigen Ausdehuuug hat der Zollverein kein compactes Terrain und keiue scharf ausgeprägten natürlichen Interessen; das Heranziehen der Nordseestaateu war eine Nothwendigkeit geworden, wenn die schwankende Handelspolitik des Zollvereins sich zn einer sichern und nationalen erheben sollte. Das Haupthindernis^ einer Vereinigung zwischen Norddentschland nnd dem Zoll­verein waren bisher die niedrigen Sätze des Nordseevereinö in Colonialwaaren, Wein und andere Importen gewesen; es wurde deshalb principiell eine Herab­setzung dieser Kategorieu in Aussicht gestellt, deren Maßbcstimmuug deu Verhand- luugen mit den anzufügenden Staaten überlassen bleiben sollte. Außerdem sollte die Einfuhr^der nothwendigen Lebensmittel, Getreide, Fleisch, Butter zc. begün­stigt werden, nnd die im Zollverein bereits znr Blüthe gekommenen Webereien sollten dadnrch von England emancipirt werden, daß eine Erhöhuug des Zolls auf Gespiuuste zur Aulage von Woll- und Baumwollfpiuuereien antriebe. -- Diese allmälige und höchst veruüuftige Aunähernng an die Grnndsätze der Frei­handelspartei (und eine Annäherung an den Freihandel war der Tarif trotz dem Widerspruche uuserer Freihändler) ist zunächst durch Opposition nuserer grund­besitzenden Tones, ferner durch die Uneinigkeiten der Kasseler Konferenz uud endlich zumeist durch die gegenwärtige politische Situation Oestreichs unmöglich geworden.

Bei dem Drängen nach Handelseinheit vertritt Oestreich nnd die ihm ver­bündeten Königreiche Baiern uud Würtemberg die Partei des Schutzzolls gegen das Ausland. Es ist kaum mehr zu zweifeln, daß diese Partei, bereits im alten Zollverein ein Hinderniß für jede Annäherung an den Norden nud jetzt durch den Beitritt Oestreichs verstärkt, eine Anflösnng des Zollvereins beabsichtigt uud her- beiführeu wird. Das räumlich zerrissene uud getheilte Preußen kann ein com­pactes Handelöterrain nicht mehr entbehren nnd wird deshalb genöthigt, den Anschluß der Nordseestaateu um jeden Preis zu erkaufen. Es hat deshalb seiue gesicherte Position bei den Unterhandlungen verloren, und der preußische Handel wie die preußische Industrie werden bei weitem größere Opfer bringen müssen nnd doch durch dieseu Anschluß gefährlichere Erfchütteruugen erleiden, als nnter andern Umständen nöthig gewesen wäre. Preußeu wird jäh und uuvorbereitet zn den Principien eines Freihandels gedrängt, mit welchen der gegenwärtige Znstand seiner Industrie in vielfacher Opposition steht.

Unleugbar ist dies Unglück für Preußen weit geringer, als ein Anschluß au das östreichische System, aber es ist doch eine Calamität. Und daß der preu­ßische Staat gegenwärtig in die Lage gekommen ist, von zwei Uebeln des kleinste wählen zn müssen, ist die Schnld der gegenwärtigen Negiernng; denn in den