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Das Proverbe.
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sich im Ballet, in der Oper oder im Melodram befindet, bis man zuletzt dnrch die prosaisch nüchterne Entwickelung wieder in das gemeine Jntriguenstück geführt wird. Die Sprache ist ein Ragont ans allen möglichen Schulen, und die Cha­raktere erinnern an die weinerlichen Bajazzos, die heroischen Buckligen nnd die verliebten Zwerge der sogenannten Volksdramen. Von den Verfassern eines der beliebtesten dieser Volksdramen, das auch in Deutschland Eingang gefunden hat: Marianne, den Herren Michel Masson nnd Anicet Bourgeois, ist im'tkL^i-s üv Kaltv ein ähnlicher Gegenstand aufgeführt worden, ein tugendhafter uud von schweren Leiden heimgesuchter Stnmmer, bei dem das pathologische Mitleid das dramatische Interesse ersetzen mnß, wie es bei den hundertfältigen Erfindun­gen desselben Genre seit dem ersten Rührstück dieser Art, dem ^1>dv äo I'^vs, der Fall war. Die Einfälle müssen sich ans Ungeheuerliche steigern, wenn sie auf die abgestumpften Nerven uoch einen Reiz ausüben sollen. Ursprünglich hat diese Erfindnng auch keinen andern Zweck gehabt, als Ballettänzerinnen, die der Sprache nicht mächtig sind, Gelegenheit zu geben, mit melodramatischer Beglei­tung im ernsten Drama zu figurireu. Ein Greuelstück anderer Art, ^e? routisrs, Drama in fünf Acten und in Versen, von Latonr de St. MmrS, aufge­führt in der 1'orto 8t. Nartm, bewegt sich in der bösen Zeit Peters des Gran­samen und Heinrichs von Trastamara, nnd erinnert im Inhalt wie in der Form lebhaft an die Mysterien von Paris, denen sich eine dialogisirte Criminalgeschichte: I^e vol d, 1a iNu'tu'^,^ in acht Tablcanx, von Lavier de Mvntchin, noch näher anschließt. Der diabolische Held derselben, oder der Maschinist, wie wir ihn ge­wöhnlich nennen, ist ans Engeil Sue genommen; es ist ein reicher Bösewicht, der eine Reihe von Damen dadurch als blinde Werkzeuge in seine Hände be­kommt, daß er sie zu eiuer Fälschung verleitet nnd von ihnen die schlimmsten Scheußlichkeiten ausführe» läßt, bis sich endlich zum Schluß das LaD erbricht und die Tugend zu Tisch setzt.

Es gab auch bei uns eine Zeit, in welcher Grenelgcschichten ein stehender Stoff für die Winkeltheater waren; aber damals gaben sich nur die obscnren Theaterscribenten zu dergleichen her; wer von den Dichtern Etwas auf sich hielt, blieb in den Schranken der Aesthetik. In Paris hat sich dieser Unterschied seit Victor Hugo und Alexander Dumas aufgehoben, und eine verschrobene Doctrin geht mit einer liederlichen Praxis Hand in Hand. Es ist aber für uus ein sehr schlechtes Zeichen, daß wir nnscr Theater mit besonderer Vorliebe ans diesen bar­barischen Erfinduugen der Franzosen recrntiren, während das, was sie eigentlich auszeichnet, das seine Konversationsstück, unbeachtet und ohne Einfluß an uns vorübergeht. Der Lumpensammler, Marianne nnd Bajazzo haben unsre Theater gefüllt, während die feinsten Stücke von Scribe ohne Erfolg blieben. Es wird bald dahin kommen, daß es überhaupt an Kräften fehlt, um nur einen Versuch damit zu machen. ___