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Hippolytos und Phädra : Aus Berlin.
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keuschen Artemis, die seinem Charakter den Stempel rauher Einseitigkeit ausge­drückt. Wenn Theseus deu Poseidon auffordert, das Gericht an seinem Sohne zu vollziehe», so handelt er bei dem Griechischen Tragiker ebenso folgerichtig unter dein Gebot der Göttin, welche ihn mit Verblendung schlug. Racine läßt diese Bitte so wie den Eingriff des Poseidon in Hippolyt's Leben bestehen, nud da wir bei ihm, der alle Motive iu das Menschliche übertrug, nach deu Ursacheu forschen, so findeu wir nur eine unverzeihliche Leichtgläubigkeit »ud Voreiligkeit des Theseus und ein allzu vorsichtiges, allzu zartfühlendes Schweigen Hippolyt's. Darin liegt wahrlich kein tragischer Conflict von so gewaltiger Spannung, daß nnr der Tod ihn lösen könnte. Ich theile die ästhetische Ansteht Derjenigen nicht, welche zur Motivirung eines tragischen Unterganges das Vorhandensein einer zn sühnenden, sogenanntentragischen Schnld" für erforderlich erachten. Diese Ansicht gehört nach meiner Ueberzeugung nicht in die Aesthetik, sondern in die Juris­prudenz. Aber aus deu einfachsten Gesetzen der künstlerischen Compofition ergibt sich für die Tragödie der Grundsatz, daß ein tragischer Untergang durch die dra­matische Bewegung mit Nothwendigkeit bedingt sei, möge diese Nothwendig­keit übrigens in einem sittlichen Bedürfniß der untergehenden Person, oder in dem auf andere Weise uulösbareu Zwange der Verhältnisse ihren Grund haben. Der besondere Begriff des Drama's, das die menschliche Handlung zum Gegenstände seiner Darstellung hat, und unsre heutige Auffassung, welche den Menschen als willenssrei Handelude Persönlichkeit betrachtet, lassen allerdings die tragische Noth­wendigkeit im neueren Drama grundsätzlich aus freiem Handeln der tragischen Person hervorgehe», aber auch iu diesem Falle bleibt die Forderung eiuertra­gische» Schuld" immerhin ein mindestens schiefer Ausdruck, der nicht selten dazn verleitete, das ästhetische Gesetz mit dem Gebot einer sentimentalen Moral zu verwechseln. Zurechnungsfähig mnß der tragische Charakter sein, schuldig aber brauchen wir ihn nicht; als eine Nothwendigkeit mnß die tragische Lösuug eines dramatischen Conflictes sich ergeben, die Sühne einer Schuld braucht nicht in ihr enthalte» zu sein. Vor dein Tribunal einer rigorosen Moral könnte Hippolyt's romantische Neiguug zu Aricia, der Feiudin seiues Vaters, vielleicht als eine Schuld betrachtet werdeu, welche der Sühne bedürfe. Aber die Nothwendigkeit seines Todes läßt sich nirgends heransdeduciren, und darin besteht der Grund­mangel dieser Tragik, während wir an der Tragödie des Enripides menschliche Freiheit und seelische Entwickelung vermissen, welche Racine seinem Haupt­charakter zu verleihen wußte.

Im Hippolyt werden die göttlichen Mächte, welche in der Antigone, der Medea nnd dem Oedipus nur unsichtbar einwirken, zu sinnlich wahrnehmbaren Gestalten. Das Stück beginnt mit der Erscheinung der Kypris, welche in Wolken gehüllt von: Olymp heruiederfährt, und wird dnrch Artemis, die ans gleiche Weise erscheint, mit der Erklärung, daß Hippolyt uuschuldig sei, geschlossen. Dieses

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