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Nikolaus Lenau.
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Nikolaus Lena«.

So eben ist der dichterische Nachlaß des Unglücklichen durch seinen Freund Anastasius Grün herausgegeben; er enthält den Don Juan und eiue Reihe kleinerer Gedichte. Der erste ist nach der Methode gearbeitet, wie die frühern episch-lyrischen Versuche Lencm's: es sind zerstreute Scenen, die unter sich keinen weitern Znsammenhang haben, als den gemeinsamen Gegenstand, und die man nach Belieben durch einander mischen könnte. Von einer innern Entwickelung des Helden ist keine Rede; es ist auch schwer zu sagen, was man sich eigentlich für eine andere Entwickelung bei einem Bonvivant,dem jede Schürze recht ist", und der die Blonden eben so liebt wie die Braunen, die Sentimentalen eben so wie die Coquetten, die belesenen Blaustrümpfe eben so wie die idyllischen Natnr- gänschen, denken sollte, als die der allmäligen Erschlaffung und Blaflrtheit. Berthold Auerbach hat mit dem Dichter über den passenden Schluß dispntirt. Nach Lenau's erster Absicht sollte Don Juan zuletzt an einem nnvertilgbaren Frieren und Frösteln sterben. Anerbach hielt ihm entgegen,daß das ein wesent­lich pathologischer Schluß sei, vielmehr müßte Don Juan ethisch an der Erkenntniß und Erfahrung untergehen, daß er, der Alles genießen zn können glaubte, wahre Frauenliebe nie genossen habe, da dies in höchster Beglückung nur Dem würde, der als Individuum wieder ein anderes ganz sein nenne und wisse." Das ist zwar ganz rationell, aber ich bezweifle, ob ein Don Jnan, in dessen Natur es liegt, in der Liebe Nichts weiter zu sehen, als die Leidenschaft, jemals zu dieser Erfahrung kommen kann. Von der Jntensivität der Leidenschaft hat er bei feinen vielfachen Versuchen den reichsten Gennß gehabt, und der sittliche Theil der Liebe, das aus gegenseitiger Achtung beruhende Vertrauen und die daraus ent­springende ruhige Sicherheit, ist seinem aristokratischen Hochmuth, der sich über die gewöhnlichen Menschen erheben will, zuwider. Es kommt bei eiimn Blasirten zwar vor, daß er zuletzt bei seinen vielfältigen poetischen Empfindungen, auf denen e'r zu spielen versteht, wie der Virtuose aus seinem Clavier, sich auch einmal in die Begeisterung für die Tugend hineinschwindelt und nach dem Glück einer stillen,

Grcnzbotcn. II. 18S1. 21