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Wochenschau.
Aus Berlin. — Der Himmel, der in seiner Weisheit immer den Wind nach dem geschoreneu Lamm einzurichten pflegt, scheint uns für unsre miserabeln politischen Aspecten durch ein schönes Frühlingswctter entschädigen zu wollen; er mag wol zu der Ueberzeugung gekommen sein, daß eine Combination von neapolitanischer Freiheit und sibirischem Klima denn doch selbst für den geduldigen Deutschen zu viel sein würde, und es deshalb seinem alteu Vcreinbarungssvstem getreu für rathsam erachten, die Dresdener Conserenzcn durch einigen Sonnenschein, zu temperiren, und auf diese Weise ein mittleres Verhältniß herzustellen, bei dem man noch zur Noth bestehen kann. Genug, wir haben Sonnenschein und alle Welt ist so zufrieden als möglich, was freilich nicht viel sagen will. Unsre Kammern haben beide für einige Zeit ihre Sitzungen vertagt, und haben wohl daran gethan; es wäre eine nutzlose Selbsttäuschung gewesen, wenn sie geglaubt hätten, durch Verdoppelung ihrer Thätigkeit dem Lande einen Gefallen zu thun, eine Ansicht, die namentlich Bodclschwingh immer vertrat, der ganz in dem bureaukratisch - vkonomischen Geiste der alten Schule den Werth der Arbeit nach der Elle abmaß, und nach jeder Sitzung regelmäßig eine Abcndfitzuug beantragte, weil die hohe Kammer durch namentliche Abstimmungen u. s. w. ohnedies schon unnützer Weise so viel Zeit verloren habe, und das Land für das viele Geld, das es sich die Kammern kosten lasse, wenigstens eine bestimmte Anzahl Gesetze geliefert erhalten müsse. Es liegt zum Theil an den Verhältnissen, daß unsre parlamentarische Wintercampagne Nichts werden konnte, als ein kümmerlicher Kartoffelkrieg mit großen Manövern und kleinen Neichsctaten, auf die nothwendig ein fauler Friede folgen muß. Ueber die Politik des gegenwärtigen Ministeriums sind freilich alle Parteien insofern einig, als sie sie für eben so ungeschickt als unglücklich halten, die Linke, weil man die Union nicht durchgeführt, die Rechte, weil man sie nicht früher aufgegeben, das Centrum, weil man weder das Eine noch das Andere gethan; aber keine Partei ist, soweit sich die Sache übersehen läßt, für den Augenblick in der Lage und bereit, das Ruder selbst in die Hand zu nehmen, weil jede unter den gegenwärtigen Verhältnissen denselben Cours noch einige Zeit fortsteucrn müßte, was die Einen nicht können und die Andern nicht wollen. Ein Ministerium aus der constitntionellen Partei ist natürlich von vornherein außer aller Frage, so lange es nicht möglich ist, mit dem in der letzten Zeit befolgten System entschieden zu brechen; die Rechte sieht gern in der demüthigenden Lage, in der sich Preußen gegenwärtig befindet, nur die gerechte und nothwendige Buße für die revolutionären Jugendsünden des Ministeriums, aber ihre christliche Selbstverläugnung geht schwerlich so weit, daß sie diese Buße auf ihr Conto nehmen mochte, und das Centrum ist jedenfalls der Ansicht, daß Jeder die Suppe ausessen möge, die er eingebrockt hat. Bis diese Suppe ausgegesscn ist, was je nach den Umständen eine längere oder kürzere Zeit dauern kann, werden wol selbst die Reden des Hrn. v. Manteuffel, deren jede man bei einem gewöhnlichen Minister für einen verzweifelten Selbstmordversuch halten müßte, nicht im Stand sein, ihn zustürzen. Ja gerade in dieser Einstimmigkeit, mit der seine Politik im Grnnde von allen Parteien verurtheilt wird, liegt für ihn ein großer Vortheil; Sachen zu sagen, über die alle Welt einig ist, und dabei doch