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Schauspieler-Silhouetten : 1. Auguste Crelinger.
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der formellen Betonung an die Stelle malerischer Färbung, stärkere Meißelschläge an die Stelle abschattender Piuselfühnmg setzt.

Diese idealistisch-plastische Richtung ist bei der Crelinger ein großer Styl in edlen Formen und voll tiefer Leidenschaft; sie selber darum eine hervorragende Erscheinnng im Gebiete ihrer Kunst. Das Wesen dieser idealen Auffassung besteht in der Fähigkeit und Methode, ihn ausschließlich als Theil eiuer von der Phamasie des Dichters geschaffenen Welt anzuschauen. Das Ideale liegt in der Einheit des Einzelnen mit dem Kunstwerke, dem der besondere Charakter angehört. Dieser künstlerische Idealismus versenkt sich dann zuweilen so tief in den Gedankengehalt der Dichtung, daß er danach trachtet, in jedem einzelnen Charakter der Gliederung nachzuforschen, in welcher die dramatische Grundideesich auslegt". Nimmt ein solches Trachten überHand, so führt es zur Vernichtung aller LebeuSwahrheit. Allerdings muß jedes Glied eines Kunstwerks an dessen Gedankeniuhalte Theil nehmen, wenn es nicht als ein wucherischer Zweig die Einheit des Ganzen stören soll. , Nichts aber heißt die Freiheit eines dramatischen Charakters ärger vernich­ten 5 als wenn eine gewisse ästhetische Schulweisheit fordert, er solle uud müsse uuter allen Umständen alsRepräsentant" eiuer besondern sittlichen Idee" aus­gefaßt werden. Von dieser'Abstraction finden wir wenig bei der Crelinger. Niemals weicht bei ihr ein einzelner Effect aus der idealen Harmonie des Ganzen. Aber bei untergeordneten Talenten artet auch diese Richtung leicht in überpathctische Rhetorik und kokette Attitüde ans. Deshalb ist der Gegensatz des Realistischen um so nothwendiger nnd muß den Ausgangspunkt der Schanspielknnst nm so mehr bilden, als die Beobachtung uud Nachahmung des Wirklichen die eigentlich schau­spielerische Fähigkeit umschließt.

Seydelmann entwickelte in jeder neuen Rolle eine überraschende Fülle lcbcnswirklichcr Beziehungen im Charakter einer besondern Individualität und wich dabei allerdings zuweilen ans den poetischen Grenzen, welche der Dichter dem Charakter gezogen. Aber es war immer ein menschlich Ganzes, ein in sich vollendetes und zugleich charaktervolles Leben, waö er gab. Auch seine Knust war zu einem mit Bewußtsein entwickelten, mit sich einigen und abgerundeten Styl gelangt, deu ich im Gegensatze zur idealischen Spielweise der Crelinger nur den realistischen nennen kann.

Die Jneinöbildung beider Stylarten erstrebt in gewissem Sinne Nachel Felix. Sie will den erstarrten Idealismus der svgeuauuteu französischen Klassicität lebendig nnd flüssig machen durch Einführung der modern sranzösischcu Spiel­weise iu das Alexaudriner-Drama, aber sie fußt bei diesem Bestreben ans zwei einander völlig ausschließenden Gegensätzen. Die LebeuSwahrheit der neuern französischen Schauspielkunst hat nur das Gebiet der Comödie erobert uud bewegt sich in der Widerspiegelung durchaus conventioneller Modernität. Nnn ist auch die Ideali­tät der Tragödie des Racine und Corneille aus einer nur conventionellen Auf-