— 203 —
Der neue Vertrag mit Sowjetrußland kann zwar eine Waffe gegen den Feindbund sein, aber er ist eine zweischneidige, wenn er, wie es nach dem Auftreten Radeks im April als Vertreter der Exekutive der Dritten Internationale bei der Tagung der Vertreter der kommunistischen Neichs- bezirke in Berlin scheint, o-er bolschewistischen Propaganda bei uns freie Bahn schafft. Bei dem Mangel an Einsicht in die hier dargelegten eigent->, lichen Ursachen unserer Not, von der in erster Linie der gebildete und völkisch gerichtete Mittelstand betroffen und mit dem Untergang bedroht ist, besteht kaum noch Hoffnung, daß dieser sich aufrafft und mit dem zur Einsicht gekommenen Teil der Sozialdemokratie zusammengeht, der allmählich erkanni hat, daß nicht das in der Industrie zur Schaffung von Werten benutzte Kapital, sondern das kapitalistische Prinzip des ewigen Zinses der Feind ist.
Elsatz-lothringische Fragen.
Von einem Elsässer, 3. Die Generalratswahlen in Elsaß-Lothringen.
Die Ergänzungswahlen zum französischen Generalrat haben verfassungsrechtlich keine allzu große Bedeutung. Der Generalrat ist das Organ, das in Frankreich den Senat wählt und außerdem kleinere politische Funktionen selbsttätig ausübt. Ein Drittel der gewählten Mitglieder scheidet in Abschnitten von drei Iahren automatisch aus dem Volksvertretungskörper aus und muß dann durch Neuwahlen ersetzt werden. Die diesjährigen Neuwahlen nun haben die politische Welt vor die wichtige Frage gestellt, ob der bisherige übermächtige Nationalblock über die Linksparteien triumphieren und das Land weiterhin dem schrankenlosen Nationalismus ausliefern würde, oder ob die im Sinne der internationalen Beziehungen wüi^schenswerte Orientierung nach links einsetzen würde. Das Ergebnis der Wahlen hat sich als eine schwache Orientierung nach links herausgestellt.
Also ein Stimmungsmesser für die öffentliche politische Meinung waren die Wahlen immerhin. Sie waren es besonders im Elsaß.
Hier interessiert nun zunächst die überaus minimale Wahlbeteiligung. Nahezu 50 v. H. der eingeschriebenen Wähler haben sich im Elsaß an dem Aktus überhaupt nicht beteiligt. Das ist das wichtigste, formell negative Ergebnis der Wahlen im Lande. Man muß, um einen ähnlichen politischen Kirchhofsfrieden wiederzufinden, in die Zeit zurückgehen, da im Lande noch der Diktaturparagraph in Kraft war. Je gleichgültiger indessen die Allgemeinheit war, um so kampfeifriger, um nicht zu sägen fanatischer, zeigten sich allenthalben die Kreise, die die Wahl gemacht haben. Der „Nationale Block", der Lunte gerochen und sich zuletzt ccks „Republikanischer Block" vorgestellt und empfohlen hatte, arbeitete fieberhaft und streute reichlichen Geldsamen ans seinen Partei- und Propagandafonds ins aufgewühlte Land hinaus. In Straßburg, dem Brenn- und Mittelpunkt der elsässischen Wahlbewegung, hatte man auch die Frauenwelt — die in Frankreich nicht wahlberechtigt ist — begeistert. Röcke und Blusen für den Fall eines „günstigen" Wahlergebnisses waren für treue Helferinnen der „nationalen Sache" in Aussicht gestellt. Umsonst.