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Zusammenbruch und Wiederaufstieg vor hundert Jahren : eine Bonner Rede : (Fortsetzung.) II.
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III.

Ich habe vorhin das friderizianische Preußen als einen Zwischen­zustand zwischen Kleinstaat, indifferenter Großmacht und deutschem Nationalstaat gekennzeichnet. Um ihr Land in diesen Zwischenzustand zu erheben, hatten die drei großen Hohenzollern eine außerordentlich straffe Einspannnng der Bevölkerung in den Staatswillen durchfetzen müssen. Und zwar gab der friderizianische Staat jedem Stand seine bestimmt zugemessene Funktion in und für den Staat, dem grundbesitzendcn und zum Offiziers­dienst herangezogenen Adel eine streng geschiedene Funktion, dem nur durch Steuerzahlen aktiven, sonst politisch und militärisch passiven Bürger eine andere, dem in Eigentumsrecht und Bewegungsfreiheit beschränkten Banern eine dritte. Uebergriffe eines Standes in die Sphäre der andern waren verhindert; diese kastenmäßige Gliederung des bürgerlichen Lebens gab dem Monarchen mit den Diensten, auf die er sicher/ ja automatisch zählen konnte, zugleich die alleinige volle Bewegungs- und Verfügungs­freiheit über die Kräfte, Mittel und Ziele des Ganzen. Aus der Not und dem Stolz des siebenjährigen Krieges hatte sich ein rückhaltloses Staats­gefühl auch in tue dienenden Teile der Bevölkerung verbreitet. Dies gauze Preußen des achtzehnten Jahrhunderts aber war auf den Kampf mit Oesterreich zugefchnitten, es war ein scharfes, sicheres Instrument zum Wachstum über andere deutische Territorien, ähnlich wie sich im Mittelalter in Frankreich oder bei den Anglonormannen die Königsdomäne über die Seigneurien ausgebreitet hat, und der preußisch-österreichische D.ualisMus des 18. Jahrhunderts ist ein verspätetes Abbild des Wettstreits der Kapetinger und Plantagenets, wer von beiden im Frankreich des 13. Jahr­hunderts stärker wachsen und wer zuletzt der König im Reiche sein solle. Was sollte da in einem solchen Zustand z. B. der Gedanke eines Volks­heeres? Man konnte keine Iev6«z ma-sse entfesseln, um Schlesien fritzisch statt theresianisch zu machen? man konnte keinen Volkskrieg führen, um die Ziele des Fürstenbnuds zu schützen. Zu diesen Zwecken genügte das Berufsheer und mußte genügen. Ja, dies preußische Berufsheer im Kwbinettskrieg des 18. Jahrhunderts hat 1756 ja die drei feindlichen Groß­mächte zugleich auf die Hörner genommen, ohne daß der Bürger und der Hofbauer in Preußen den Soldatenrock anziehen brauchten. Welche Ent­täuschung darum für die Veteranen von Noszbach, als bei Jena ein französisches Heer, das freilich durch keinen Soubise geführt war, die ganze Monarchie über den Hausen warf! Das leidenschaftliche Nationalgefühl der Franzosen war mit der Inflation des Berufskriegs zum Volkskrieg vorangegangein. Was sollte nnn geschehen? Konnte Preußen, das fride­rizianische Preußen, jetzt zu der Volksbewaffnung übergehen, die auch einem Stein und Scharnhorst vor der Katastrophe unerwünscht, fast undiskutierbar erschienen war? Konnte Preußen a l s Preußen, für seinen Bestand, das ganze Volk zu tätigem Kampf aufrufen, Krieg, nicht mehr Ruhe als die erste Bürger Pflicht proklamieren?

Es konnte dies nicht, wenn es in jenem Zwischenznstaud zum Zweck der Vergrößerung innerhalb Deutschlands beharren wollte, es konnte es ebenso wenig mit Erfolg als indifferenter Großstaat; es konnte es nur, wenn es sich als Durchgangszone zum Nationalstaat auf­faßte, und desbalb hängt im Geiste der Reformer die deutsche Mission Preußens mit der Frage der Volksbewaffnung so untrennbar zusammen.