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Zusammenbruch und Wiederaufstieg vor hundert Jahren : eine Bonner Rede. I.
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ufer einem fremden Staat gehören solle. Nicht etwa nur die Rheinländer haben sich damals dem als einem unabwendbaren Schicksal gebeugt. Sond>ern, was fast uoch schwerer wiegt, in Wien oder Berlin, in Leipzig oder Hamburg dachte man über diesen Punkt nicht anders als in Koblenz oder Köln. Die Deutschen erschienen recht einheitlich in der Ver­neinung ihrer realen Einheitlichkeit. Sogar ein Blücher meint, wenn er 1309 dieganze deutsche Nation aufrufen und den vaterländischen Boden verteidigen will", mit diesemBoden" nur das Land rechts vom Rhein. Nach der Schlacht bei Leipzig aber bieten die Verbündeten gemäß Metter- nichs Rezept Napoleon einen Frieden an, der ihm das gesamte linke Rhein­ufer belassen hätte. Da^ entsprach allerdings damals nun schon nicht mehr der Stimmung des deutschen Volkes, über deren Wandlung wir noch reden werden, aber die Kabinette hatten ja nach dem Sieg auf diese Volks­stimmung keine übermäßige Rücksicht zu nehmen. Hätte Ncrvoleon damals zugegriffen, so veWnag niemand zu sagen, ob und wann jemals dieses Land, auf dem wir hier stehen, wieder in deutsche Verwaltung gekommen wäre. An dieser Frage des linken Rheinufers, die damals wirklich eine Frage war, können Sie ermessen, wie tief die Selbstpreisgabe des deutschen Volkstnms vor hundert Jahren noch ging. Stein und Scharnhorst, Fichte und Körner, Katzbach und Leipzig, alles dies zusammen hätte also nicht ausgereicht, das Deutschtum des linken Rheinufers zu bewahren; nein, nur Napoleons Zögern, ein paar Stunden rasch bereuten stolzen Trotzes des alten Welt-Eroberers haben dos linke Rheinufer dem Deutsch­tum zurückgegeben. Der diplomatische Virtuose, der bis 1848 die Geschicke Deutschlands gelenkt hat, Metternich, sah das Rheinland, sein eigenes Stamm- und Geburtsland, 1813 leichter in französischer als in irgend einer deutscheil Hand.

Schon aus dieser einen Tatsache, die ich voranstelle, erhellt, daß der Znsammenbruch Deutschlands viel tiefere Ursachen haben muß, als die, welche unmittelbar die Katastrophe von Jena nach sich zogen. Dasjenige, was an Preußen morsch war und zu Jena geführt hat, kann nur der Be­standteil einer tiefereu deutschen Morschheit gewesen sein. Daß das vereinzelte preußische Teilstück Deutschlauds dem'Anprall der Weltmacht Napoleons unterlag, ist überhaupt nicht so sehr verwunderlich. Wenn es unterlag, so wich es, ähnlich wie Napoleon 1815 dem vereinten Widerwillen Europas wich oder, wie das Deutsche Reich 1918 den Waffen fast der-ge­samten Welt unterlag, nach dem Gesetz der Zahl. Aber sin erstaunliches Phänomen bleibt es, daß das deutsche Volk in seiner Gesamtheit sich 2V Jahre lang von dem an Menschenzahl und Hilfsmitteln ungünstiger gestellten Frankreich überwinden und beherrschen ließ, von einem Frank­reich, das zudem durch Revolution und Bürgerkrieg erschüttert unp anfänglich schwer geschwächt war. Es ist den Franzosen nicht übel zu nehmen, daß sie nach dem ersten Erstaunen über ihre glänzenden militäri­schen Siege und ihre noch viel leichteren politischen Erfolge nun den gefähr­lichen Trank der Herrschaft über Deutschland m vollen Zügen genossen. Es ist von einer so schwungkräftigen Nation wie der sronzösischen, die sich statt unter einem genialen Staatsmann wie Mirabeau, unter dem Kondottiere Bonaparte reorganisiert hatte, nicht zu erwarten ge­wesen, daß ihr faszinierender General an einer so brüchigen Front Halt macht, wie es die deutsche Westfront war. Es ist Napoleon nachzufühlen,