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Weltspiegel.
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aus politischen Rücksichten aufgebauscht und künstlich verstärkt wurden, ma>g dahingestellt bleiben, jedenfalls bot der Entschluß Belgiens, sich den vor­geschlagenen Aburachungen mit Rußland zu widersetzen, Frankreich eine willkommene Handhabe, die neue Konstellation zu erfassen und sich an die Seite Belgiens zu stellen. Das bedeutete zunächst eine außerordentliche Verschärfung der zwischen Frankreich lind England entstandenen Krisis, aber Poincarö berechnete gaUz richtig, daß dieses feste Zusammen­stehen Frankreichs und Belgiens eines der besten und wirk­samsten Mittel sein werde, um Llohd George zur Vorsicht und zur Ver­meidung der äußersten Schritte zu mahnen. Während nach den äußeren Eindrücken und nach den von unverantwortlichen Beobachtern uud Sen- fationsmachern beherrschten Stimmungen in Genua alles auf des Messers Schneide zu stehen schien, arbeitete nnter den Verantwortlichen nnd Ein­geweihten angestrengt der Bermittlnngsapparat.

Und so ist der Fortgang der Konferenz einmal wieder gerettet worden, zumal da die Russen nicht den Wunsch hatten, die Dinge zum äußersten zu treiben. Die Meinungsverschiedenheit ging um die Forderung in Artikel 7 des Memorandums, wonach die Russen sich ver­pflichten sollten, das der Soziallisiernnq zum Opfer gefallene Privat­eigentum der Ausländer den früheren Besitzern zurückzuerstatten. Frankreich hielt jetzt im Verein mit Belgien diese Forderung mit besonderer Entschiedenheit aufrecht. Die Russen aber erklärten sie für un­annehmbar, weil sie sich nicht zwingen lassen wollten, ihre grundsätzliche Stellung zum Eigentumsrecht, die sie zu einer Besonderheit ihres Staats- shstems gemacht haben, die darum auch von ihrem staatlichen Organismus nicht beliebig losgelöst werden kann, auf fremdes Geheiß preiszugeben. Eine zweite Meinungsverschiedenheit zwischen Frankreich und Nußland wurde hervorgerufen durch den starr ablehnenden Standpunkt Poincarss in der Anleihefralge, da Rußland auf finanzielle Hilfe nicht verzichten kann. Aber unter der Hand hat Frankreich verlauten lassen, daß es wahrscheinlich nicht bei der äußersten Schroffheit verharre» wird, wenn Rußland in seiner Antwort einiges Entgegenkommen zeigt. Das scheint nach den heute vor­liegenden Nächrichten über die fertiggestellte russische Antwort geschehen zu fein. Rußland wünscht nur Aenderungen in Artikel 7 und Zusiche- rung cliner sofortigen Anleihe, nimmt aber im übrigen das Memorandum an. Eine Vermittelude Formel für die Streitfrage des Artikel 7 scheint bereits gesunden worden zu sein.

Es "ist durch den bisherigen Verlauf der Diuge unverkenn bar bewiesen worden, daß alle in Genua beteiligten Mächte dort eine wertvolle Gelegen­heit zu Verhandlungen, die sie in ähnlicher Art nicht so leicht wiederfinden würden, erkannt haben. Mehr als zu Anfang häufeu sich Besprechungen, aus denen trotz der noch außen noch offiziell festgehaltenen Siegergeste der Ententeleute die fanatische Gereiztheit und verletzende Unblligkeit gegen­über den Unterlegenen allmählich schwindet. Im Hintergründe steht als fernerer Programmpunkt der Konferenz noch immer Llohd Georges Lieb­lingsidee von seinem Friedeuspakt. Sogar Frankreich scheint sich dem Ge­danken einer Anleihe und einer Atempause für Deutschland wenigstens so weit zuzuneigen, daß es eine Ueberspannnng des Bogens vermeiden will. So schließt der erste Monat der Konferenz nicht so unharmonisch ab, wie man bei seinem Beginn fürchten mußte. W. v. Massow.