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Die verfrühten deutschen Mabilnmchungs- meldungen und die russische Mobilmachung.
Neue Beiträge zur K r i e g s s ch u l d fr a g e.
Von Alfred von Wegerer.
Die russische allgemeine Mobilmachung ist, wie durch die neuesten Veröffentlichungen (Beiträge zur Schuldfrage, Heft I, Verlag für Politik und Geschichte, Berlin) bekannt geworden ist, aus politischen und militärtechnischen Gründen noch einem Vortrag des russischen Außenministers Sasonow am 30,. mittags vom Zaren endgültig beschlossen und offen ausgeführt worden. Von deutscher Seite war zu dieser Zeit für die Mobilmachung noch nicht ein einziger Soldat eingezogen oder ein Pferd ausgehoben worden.
Diese Tatsache ist so entlastend für die durch den Verfailler Vertrag geschichtlch gewordene, scheinheilige Legende von der alleinigen Schuld Deutschlands am Kriege, daß man von Seiten Frankreichs eifrig tätig ist, um dem Versailler Gewaltspruch seinen ins Schwanken geratenen moralischen Untergrund zu erhalten.
Man bedient sich hierzu der Feder eines Mannes, welcher sich bereits durch mehrere Bücher und Aufsätze über die Kriegsfchuldfrage in Deutschland ziemlich unmöglich gemacht hat, und läßt ihn sich in der Märznummer der „Revue de Paris" (inzwischen ist auch der I. Teil in deutscher Sprache im „Sozialist" erschienen) auf 40 schwarz bedruckten Seiten abmühen, das alte Märchen, daß die' Falschmeldung des „Berliner Lokalanzeigers" über die deutsche Mobilmachung die tiefere Ursache sür die allgemeine russische Mobilmachung gewesen sei, in neuer Ausmachung herauszubringen. Daß ihm, dem alten Paradepferd der Entente, dies nicht geglückt ist, darf an sich nicht verwundern, da es heutzutage, wo man den Tatsachen über die Entstehung des Krieges sehr auf die Spur gekommen ist, nicht mehr so einfach ist,' „Kriegspropaganda" zu treiben. Symptomatisch für das Morschwerden der Kriegsschuldlüge ist es aber, daß Richard Grelling nichts Besseres gefunden hat, um der in Frankreich wachsenden Erkenntnis von der Schuld Poincarss an der Herbeiführung des Krieges einen Damm zu setzen.
Es würde sich kaum verlohnen, auf den Aussatz Grellings „I^s U^stgrs Äs 30. juillgt 1914" einzugehen, wenn nicht darin angekündigt wäre, daß die abqedruckten Seiten einem Werke entnommen sind, welches demnächst veröffentlicht werden soll. Es wird also ein dritter, hoffentlich der letzte Grelling erscheinen, mit welchem sich das deutsche Leserpublikum, das eigentlich Besseres zu tun hat, als die Feinde im eigenen Lager anzuhören, herumärgern soll.
Bei der Widerlegung des Grellingschen Artikels muß davon abgesehen werden, auf die einzelnen Gedankenverschlingungen des Herrn Grelling einzugehen, da es genügt, durch einfache Darstellung des Sachverhaltes dem Machwerk das Fundament zu zerstören, auf welchem es errichtet ist.
Am 30. Juli vormittags wurde in der Redaktion des „Berliner Lokalanzeigers" der Text eines Extrablattes festgelegt, weil man überzeugt war, daß die deutsche Mobilmachung nur eine Frage kurzer Zeit sein könnte.