Die Grenzboten
Politik, Literatur und Kunst
81. Jahrgang, 29. April 1922 Nummer 16
Kolonialpsychologie.
Von Dr. Erich S ch ul tz - E w e r th , Gouverneur des ehemaligen Schutzgebiets Samoa.
(Fortsetzung.)
Die englische Kolonialgeschichte zeigt, sozialpsychologisch betrachtet, wie die Kollonisten dieser Denkweise entsprechend behandelt wurden, wie sie sich dagegen zur Wehr setzten und sich die zur Aenderung erforderlichen Rechte erzWangen. Zuerst haben sich die Nordameritaner die Entsendung von Sträflingen und Schuildturminsassen mit Erfolg verbeten und die fortdauernde politische Zurücksetzung mit der Losreißung vom Mutterlande beantwortet. Die Lehre genügte noch nicht, um Wandel zu schaffen. Ein halbes Jahrhundert später war Kanada, das doch seinerzeit loyal geblieblen lvar, zum Ausstand reis. Als Zurücksetzung wurde im englischen ' wie im ehemals französischen Teil der Kolonie hauptsächlich empfunden, daß die Verwaltungsämter ein Monopol einiger wenigen englischen Familien waren. Wahrscheinlich hätte die Welt eine Wiederholung des von den dreizehn Provinzen gegebenen Schauspiels erlebt, wenn nicht England damals, wie häusig in Fällen der Not, in Lord Durham einen Staatsmann erste,! Ranges gehabt hätte. Der Bericht, den er über die kanadische Bewegung erstattete, schlug durch und wurde epochemachend nicht nur sür Kanada, sondern für das ganze englische Kolonialshstem. Bald daraus begann der Abbau der Straskolonisatiou. Als aber die Selbstverwaltungsbefugnis der Kolonien grundsätzlich allgemein gesichert war, da erklärte die Mutter den emanzipierten Töchtern pikiert, daß sie ihrer nicht mehr bedürfe. Der Freihändler Cobden gab dieser Stimmung oder Verstimmung einen nationalökonomischen Anstrich, indem er die Kolonien als ein Hindernis für die Volksentwicklung bezeichnete (!), und noch Disraeli nannte sie geradezu den Mühlstein an Englands Halses) Das war nicht so schlimm gemeint. England bezog in Form von Kapitalrente reichlichen Gewinn aus seinen Kolonien, und gegen äußere Feinde waren die Kolonien doch
*) Rache<u<m, Zur Kritik der Zeit, Berlin 1S12, S. 183.