Dr. Walter Reichardt
Philosophie des Arieges
Ein Versuch von Dr. phil. N?alter Reichardt
l.
!Dir wollen es nicht verkennen: die Menschheit schreit nach einer Verinnerlichuug der Politik.
Gewiß, was dieser Schrei bisher an Wirkungen ausgelöst hat, es ist nicht viel, sind bestenfalls eitle Seifenblasen, flimmernde Luftgespinite. ergötzliche Karika- turen, Spielzeug und Tand Versailler. Washingtoner, Londoner Mache: die Völkerbund, ewiger Friede, Abrüstung nsw.
Die Menschheit schreit nach einer Verinnerlichuug der Politik, so wie sw nach einer Vcrinnerlichung des Lebens überhaupt schreit. In dem erstarrten Stil der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts geht es nicht weiter. Das fühlt die Jugend. Da zerbricht alle Persönlichkeit in lauter mechanische UnPersönlichkeiten. Da verflüchtigt sich starke, einheitliche Kultur in schwache, matte, zersplitterte Zivilisation. Einheit der Kultur, d. h, sinnvolles Leben aus einem Mittelpunkt in tausend Radien nach der Peripherie hin-, Einheit der Kultur, d. h. Wachsen, Startsein aus einein geschlossenen Kraftfeld geistiger Verinnerlichung; Zivilisation, d. h. Breite statt Tiefe. Oberfläche statt Innerlichkeit. Mittel statt Selbstzweck, Zweiheit — Dreiheit — Vielheit nsw. statt Einheit!
So handelt es sich hier darum, die staatliche Politik aus einer primitiven Isolierung herauszureißen und sie dem Sinngefüge der gesamten Kultur einzuverleiben. Wir leben in einem Leben, das nur noch von ganzen Persönlichkeiten zn bewältigen ist. Das eherne Zeitalter, von dem Nietzsche sprach, ist angebrochen. Wo nicht letztgültigs Seelenkraft geweckt wird, zerschellt alle Mühe, und alle Klugheit ist vergebens. Es war das Furchtbarste des Furchtbaren in diesem Weltkrieg, daß er in eine Zeit traf, die keine einheitliche Kultur hatte. Da endete aller Aufschwung schließlich auf allen Seiten so oder so im zersplitterten Chaos.
Krieg und Kulturl Die wahrhaft titanische, tragische Weite des Lebens unserer Zeit spannt sich zwischen diesen beiden Polen. Krieg und Kultur! Sc- lautet die letzte Zuspitzung des Ringens unserer Tage um eine Einheit des Lebens auch in der' Politik. Der Pazifismus sucht diese Einheit, indem er den Krieg aus dem Geists der Kultur heraus glaubt ächten zu dürfen, indem er ihn durch höhere rechtliche, moralische Grundsätze der Entscheidung ersetzen zu können glaubt. Die Mangelhaftigkeit dieses Vorgehens möge deutlich werden; es möge klar werden, wie eng und unzulänglich der dazu benutzte Kulturbegriff ist, wie wahre Kultur so nicht aussieht. Statt dessen trete eine Einheit des Lebens hervor, die geeignet ist. Politik und vor allem ihr letztes Mittel, den Krieg, positiv, nicht negativ auf sich zu beziehen, die imstande ist, Krieg zu heiligen, wenn sie ihn nicht zu bannen vermag.
II.
So sehr es etwa früher falsch war, die Idee des Machtstaates gegen die Idee des Kulturstaates auszuspielen, so sehr ist es heute falsch, die Idee des Kulturstaates gegen die Idee des Machtstaates auszuspielen. Beide. Macht und Kultur, gehören wie Mittel und Zweck untrennbar zusammen. Ein Kultnrstant ohn«
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