Ernst Jünger
In ^tahlgewittern
Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers ^) Von <Lrnst Jünger
Kriegsfreiwilliger, dann Leutnant und Uompagnieführer im Füs-Regiment Prinz Albrecht von Preußen (Haun. Nr. ?z), Leutnant im Reichswehr-Regiment Nr. <ü (Hannover)
^och wuchtet der Schatten des Ungeheuren über uus. Der gewaltigste der Kriege ist uus noch zu nahe, als daß wir ihn gauz überblicken, geschweige denu seineu Geist sichtbar auskristallisiereu können. Eins hebt sich indessen immer klarer aus der Flut der Erscheinungeu: Die überragende Bedeutung der Materie. Der Krieg gipfelte in der Materialschlacht; Maschinen, Eisen und Sprengstoff waren seine Faktoren. Selbst der Mensch wurde als Material gewertet. Die Verbände wurden wieder und wieder an den Brennpunkten der Front zur Schlacke zerglüht, zurückgezogen nnd eiuem schematischeu Gesunduugsprozeß unterworfen. „Die Division ist reif für den Großkampf."
Das Bild des Krieges war nüchtern, grau und rot seine Farben? das Schlachtfeld eine Wüste des Irrsinns, in der sich das Lebcu kümmerlich unter Tage fristete. Nachts wälzten sich müde Kolonnen ans zermahlenen Straßen dein brandigen Horizont entgegen. „Licht aus!" Ruinen und Kreuze säumten den Weg. Kein Lied erscholl^ nur leise Kommaudoworte nnd Flüche unterbrachen das Knirschen der Riemen, das Klappern von Gewehr und Schanzzeug. Verschwommene Schatten tauchten aus den Rändern zerstampfter Dörfer in endlose Laufgräben.
Nicht wie früher umrauschte Regimeutsmusik ins Gefecht ziehende Kompag- uieu. Das wäre Hohn gewesen. Keine Fahnen schwammen wie einst imPnlver- dampf über zerhackten Karrees, das Morgenrot leuchtete keinem fröhlichen Nciter-- tage, nicht ritterlichem Fechten und Sterben. Selten umwand der Lorbeer die Stirn des Würdigen.
Und doch hat auch dieser Krieg seine Männer nnd seine Romantik gehabt! Helden, wenn das Wort nicht so wohlfeil geworden wäre. Draufgänger, unbekannte, eherne Geselleu, deneu es nicht vergöunr war, vor aller Augen sich an der eigenen Kühnheit zn berauschen. Einsam standen sie im Gewitter der Schlacht, wenn der Tod als roter Ritter mit Flammenhufen dnrch wallende Nebel galoppierte. Ihr Horizont war der Rand eines Trichters, ihre Stütze das Gefühl der Pflicht, der Ehre und des inneren Wertes. Sie waren Überwinder der Furcht; selten ward ihnen die Erlösung, dem Feinde in die Augen blicken zn können, nachdem alles Schreckliche sich zum letzten Gipfel getürmt uud ihnen die Welt in blutrote Schleier gehüllt hatte. Dann ragten sie empor ,zu brutaler Größe, geschmeidige Tiger der Grüben, Meister des'Sprengstoffs. Dann wüteten ihre Ur- triebe mit kompliziertesten Mitteln der Vernichtung.
Doch auch weun die Mühle des Krieges rnhiger lief, waren sie bewuicherns- wert. Ihre Tage verbrachten sie in den Eingeweiden der Erde, vom Schimmel umwest, gefoltert vom ewigen Uhrwerk fallender Tropfen. Wenn die Sonne hinter gezackten Schattenrissen von Ruinen versank, eutklirrteu sie dem Pesthauch schwarzer Höhlen, nahmen ihre Wühlarbeit wieder auf oder standen, eiferne Pfeiler, nächtelang Hinter den Wällen der Gräben und starrten in das stalte Silber zischender Leuchtkngeln. Oder sie schlichen als Jäger über klickenden Draht in die Öde des Niemandslandes. Oft zerrissen jähe Blitze das Dunkel, Schüsse kuall-
*) Aus dem Vorwort des gleichnamigen, bei E. S. Mittler u. Sohn, Berlin, erschienenen BucheS. Mit freundlicher Erlaubnis des Verlages.
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