Karl Gjellerup
Die griechische Landschaft
von Rarl Gjellerup*)
ist besser, kein Griechisch zu können und uach Griechenland zu kommen, Goethes gar zu oft wiederholte Worte: „Wer den Dichter will verstehen, muß in Dichters Lande gehen," habe ich nirgends so wahr empfunden wie in Griechenland; doch will ich „Dichter" gegen ,',Knnstlcr" vertauschen. Denn um die ganze hellenische Knnst, sowohl die des Meißels als die der Feder, bildet die griechische Natur einen so stilvollen nnd harmonischen Nahmen, daß der, der sie einmal gesehen hat, kaum begreift, wie er sie vorher hat entbehren können^ - und dies um so weniger, alÄ die Kunst der Hellenen sich nur wenig mit der Natur beschäftigt hat. Man hat daraus den übereilten Schluß! gezogen, daß ihnen der Natursinn fehle. Doch muß man, mit Recht anerkeuucn, daß die Lage mehrerer Haupttempel, wie Snnions, Ägiucis und des arkadischen Bassä/ darauf hindeuten, daß die landschaftliche Schönheit nicht ohne Beeinflussung bei der Wahl des Ortes gewesen ist. Es ist überhaupt bemerkenswert, wieviel aus mangelnder Kenntnis erfunden wurde, nm dieser Nasse das eine oder andere abzusprechen, die in ihrer kurzen Blüte alle anderen an Begabung so ganz unbegreiflich übertraf. Ein Gelehrter wollte durch physiologische Mißverständnisse beweisen, daß die alten Helenen farbenblind gewesen seien, indem sie seiner Meinung nach die blaue Farbe nicht auffassen konnten; ich entsinne mich nicht, wer es feststellte oder wann diese Behauptung Anfsehen erregte; aber um seiner Gelehrsamkeit willen muß man hoffen, daß es vor dein Funde der Tanagrci- figuren war.
Vor allem meinerseits die beruhigende Vcrsichernng, daß ich keineswegs gesinnt bin, durch eiueu wohlfeilen Naturalismus die griechische Kunst von ihren Naturschönheiten herzuleiten; ich will nur einige Bemerkungen anführen, die such beinahe von selbst demjenigen aufdrängen, der nach Griechenland kommt und schon in hellenischer Kunst gelebt hat. — Fragt man sich, was das Auf-- falleudste au der griechischen Laudschaft ist, so macht sich der für den Nordländer herrschende Wäldermangel geltend. Sogar Italien scheint im Verhältnis ein Waldland zu sein. Dies gilt jedoch nicht für das Bild vom alten Hellas, denn schon am Schluß des Altertums wird über Mangel an Wäldern geklagt, wie aus der klassischen Literatur hervorgeht. Auf dem attischen Berg Parues, nahe bei Tatöi, sah ich, wie prachtvoll der griechische Bergwald seiu kann, gegen den der italienische sich wie ein Gebüsch ausnimmt. Die Ebenen haben derzeit einen noch weniger unfruchtbareu Eindruck gemacht; denn Athen hat ständig seinen breiten Gürtel von Olivenbäumen — uud nach dein Muster Attikas müßten die meisten staubgraueu, versengten Ebenen,. nnd rotsteinigen niederen Bergabhänge von diesem bald blaugraueir, bald silbrig glänzenden Lanb überschattet worden sein, die dem Auge jetzt unverschleiert begegnen.
Wenn nnn also die griechische Landschaft im ganzen einen öden und ver- branuteu Eindruck macht, worin liegt dann der Zauber, den sie so nuwiderstch- lich auf jeden ausübt, — woher kommt es, daß man vielgereiste Menschen sagein hört, Griechenland sei das Schönste von allem, was sie gesehen haben?
Die Hauptschönheit Griechenlands sind die Bergformationen. Diese Berge ziehen sich nie, — tvie in Italien — weit in den Hintergrund zurück, bis fie
*) Aus dem biographischen Nachlaßwerk des feinsinnigen deutsch - dänischen Dichier- philosophen Karl Gjellerup, Der Dichter und Denker. Sein Leben in Selbstzeugnissen nnd Briefen. Band 1. Leipzig 1921. Quelle u. Meyer. Halbleinen M. 36.—.
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