Der Volkskönig
Der oolkskönig')
Von einein ehemaligen Frontsoldaten
Verständige Leute haben eS bereits während des Krieges gesagt, daß die guten und erheblichen Kriegsbücher erst Jahre nachher kommen würden, wenn das ungeheuere Erleben schon verklungen sei; erst wenn die Masse der Kriegsliteratur vergessen Wäre, würden sich einige auf ihren Krieg besinnen und dann bekäme man vielleicht ein Dutzend lesenswerter Kriegsbücher.
Denn wer im Kriege Zeit hatte, Bücher zu schreiben, war inkompetent, womit keineswegs die Mühe, verbunden mit gutem Willen und literarischem Geschick, herabgesetzt werden soll, die Sie, meine sehr verehrten Herren Kriegsschriftsteller, darauf verwandt haben, der Heimat von uns zu erzählen. Sie Verständen's halt nicht besser, und kannten den Krieg nicht, und am wenigsten uns, die ihn führten. Was wußten die alle von uns, von unseren Leiden und Träumen? Von den Fesselballons der Etappe konnte man nicht in die Herzen der Front sehen.
Unsere Träume. Von dem Sieg, den wir erfechten wollten, der siegenden Heimkehr und dem Vaterland, das uns erwartete. Wie wollten wir das hegen, das wir täglich mit unserem Tode erkauften. Die Blutgemeinschaft wollten wir zur Volksgemeinschaft werden lassen. Von uns in den Gräben wäre keiner übermütig heimgekehrt, kein Frontoffizier sozial unverständig geblieben. — Im Sommer, Herbst und Winter 1913 sind uns alle diese Träume zerbrochen.
Und nun kommt einer, der baut in einem Roman den Traum, wie wir ihn draußen hatten, vor uns auf, Erich Lilienthal im Volkskönig: Der Bolkskönig hat es
*) Lilienthal: Der Volkskönig, Berlin 1921 Engelmnnn.
verstanden, sich zum sozialen Führer seines Volkes zu machen, er hat gegen seine nächste Umgebung den Massen recht gegeben, durch gewaltige soziale Reformen dem Proletariat wirklich geholfen, und nun zieht er — als König ihres Vertrauens — mit diesem Volk in den Krieg. Die Revolutionen, die den Krieg beenden, treffen sein Land nicht. Überall stürzen die Throne — er bleibt der Volkskönig.
Von den rein künstlerischen Qualitäten des Buches weiß ich nichts zu sagen, das mögen die Literaten unter sich ausmachen; hie und da störte mich die immer im gleichen Rhythmus bleibende, nie sich zur Ruhe der Prosa glättende Satzbildung — ich weiß nur, daß es mich gepackt hat mit der Wucht einer getäuschten Hoffnung, mit dem Schmerz des nie wieder gut werdenden Verlustes. — Hätte das geschehen können, was in dem Buch als berauschende Wirklichkeit steht? Das ist die freilich sehr unkünstlerische Frage, die jede Seite des Buches geradezu erzwingt. Wir träumten es so, aber hätte es geschehen können?
Man wird begreifen, daß es sich hier um ein durchaus politisches Buch handelt. Und vielleicht, daß es von diesem Standpunkt aus doch noch mehr ist, als nur das einem ewig Verlorenen Nachsinnen. Einer, der sein Voi? führt, nicht nur mit seinen Bannern, auch mit seinem Herzen. Aber können diese zivilisierten, in Klassen zerspaltenen und in Weltanschauungen zerrissenen Millionenvölker Europas überhaupt noch von einzelnen geführt werden. Er müßte so sein, der Führer, der Herzog, wie ihn Lilienthal zeichnet, aber kann es einer? Doch Wohl nur mit Unterstützung einer ganzen, von Liebe und sittlicher Kraft getragenen Jugend, durch tätige Mitarbeit einer durch alle Schichten des Volks sich die Hände reichenden Generation.
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