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Napoleonische Zeit im Rheinland
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Napoleonische Zeit im Rheinland

Napoleonische Zeit im Rheinland

von Dr. Alfred Narll

^ie französische Propaganda bemüht sich krampfhaft, den Rheinländern vorzu­reden, wie glücklich sie unter der napoleonischen Herrschaft gewesen seien. In Wahrheit hat die Begeisterung für die Franzosen etwa derjenigen entsprochen, wie sie heute unter den Rheinländern herrscht; das heißt sie war ziemlich gleich Null. Das erkennt man deutlich, wenn man sich lediglich an die Tatsachen hält, die ein klares Bild ermöglichen. Ich habe in eingehenden Studien Gelegenheit gehabt, die einwandfreiesten Quellen, nämlich die französischen Verwaltungsakten zu durchforschen. Gerade dort sollte man doch Nachweise für eine sranzosenfreund- liche Gesinnung der Bewohner finden. Aber man sucht danach vergeblich. Da­gegen stößt man auf eine gründliche amtliche Mache, die mit ganz raffinierten Mitteln die Einwohner bearbeitet, um künstliche Kundgebungen für Napoleon zu erpressen. Sehen wir uns diese Mache einmal etwas näher an:

Wenn die französische Negierung Anordnungen trifft, die wirtschaftlich eine schmerzliche Operation für die Bevölkerung darstellen, müssen Adressen an Na­poleon die Freude über diese Vivisektion kundtun. Da es niemand einfallen wird, auS sich heraus solche Kundgebungen loszulassen, hilft die Regierung künstlich nach. Streng vertraulich (außer dem Maire darf niemand davon erfahren) wird den Gemeindevorständen klar gemacht, daß alle bedeutenden Gemeinden mit Eifer die Gelegenheit ergriffen hätten, ihreGefühle" auszudrücken. Die als Vorbild hingestellten Gemeinden hatten diesen Eifer freilich erst gezeigt, als der Präfekt sie dazu angehalten hatte. System Schneeballkollekte I Vorsichtshalber gibt man der sanften Aufforderung gleich ein Inhaltsverzeichnis bei, was die Adresse ent­halten soll. Manchmal kleidet man die Adressenbestellung wenigstens in eine ver­bindliche Form und tut so, als ob dabei von Freiwilligkeit die Rede sei. Manchmal laßt man auch die Maske fallen und wendet einfach die Befehlsform an. Der Präfekt teilt dem Minister des Innern mit. er werde es so einrichten, daß die Huldigungsadressen an jedem Tage der Woche nach Paris abgehen würden! Amüsant ist die Komödie, die sich die hohen französischen Beamten selbst vor­spielen müssen.

Als nach der Konvention Uorks bei Tauroggen die Lage bedenklich zu werden droht, erscheinen, wie überall sonst, plötzlich auch im Noerdepartement »wie durch Zauber" mehr als 500 berittene, bewaffnete, ausgerüstete Jäger, die vor Eifer brennen, für Napoleon zu kämpfen. Wenn man in die Akten blickt, ändert sich freilich das Bild ganz erheblich. Der Präfekt wendet sich an die Ver­waltungsbeamten und tut so. als ob das. was er erst erzeugen will, bereits vor­handen sei. Die Einwohner können es angeblich kaum erwarten, sich für Napoleon zu opfern. Deshalb sei es Pflicht jeder Gemeinde,die edlen Anstrengungen" des Kaisers mit Energie zu unterstützen. Daher sei beschlossen, dem Kaiser ein Korps von berittenen Jägern anzubieten, die aus eigenem Antriebe (!) von den Gemeinden geliefert würden. Die Maires müssen nun wieder Adressen einreichen mit diesem sogenannten freiwilligen Anerbieten; sie sollen den Präfekten bitten, dies dem Kaiser Alt unterbreiten mit der Bitte, er möge es gnädig aufnehmen. Der Höhepunkt der Mache wird dadurch erreicht, daß man den armen Maires diesesGelöbnis" aufzwtngt und dann den Spieß noch umdreht. Es wird den Gemeinden, die mit der Lieferung im Rückstand sind, vorgehalten, sie hätten ja aus eigenem Antriebe dem Kaiser Pferde und Retter angeboten, infolgedessen

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