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Berliner Bühne
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Berliner Bühne

Berliner

Von Artu

Es hat, noch zu Miseren Lebzeiten, eine Theaterprobe gegeben, in der die Bühnen­kunst einen einheitlichen, fest umrissenen Charakter trug, oder doch erstrebte und in ihren führenden Leistungen erreichte. Grund- Zage dieser Verfassung war das gesellsÄafts- kritische, realistische Schauspiel. Die Wirk­lichkeit, die es kritisierte, wollte es zugleich spiegeln. Darum niußte auch das Ideal der Wiedergabe auf der Bühne in den bürger­lichen Konventionen der Rede und des gesell­schaftlichen Verhaltens gesucht werden. Man hat diese Unterordnung der Bühne unter das Drama oft als ein Unglück und die er­hoffte Erlösung von der Literatur als An- bruch eines goldenen Zeitalters für das Theater bezeichnet. Heute wissen wir, wie freundlich oder wie unfreundlich wir über das realistische Theater denken mögen, daß es den letzten geschlossenen Darstellungsstil repräsentiert hat.

Nun ist die Zeit gekommen, wo das Theater einhertritt auf der eigenen Spur. Trotz aller heifzen Bemühungen jüngerer Dichter und obwohl das realistische Drama in Strindberg und Wedekind versuchte, über sich Hinauszugelangen, gibt es heute keine durch Einheit deS Gehalts und der Dar- stellungSmittel verbundene Bühnendichtung. Die Folgen liegen vor aller Augen. Alle alteren Darstellungsstile vom vorrealistischen Klassizismus bis zum nachrealistischen Stim- mungsimpressionisnins und Expressionismus leben teils in reinlicher Mechanisierung, teils in grotesker Vermengung fort. Der nicht wenige Bühnenleiter und Regisseure durch­dringende Wille zu neuen Darstellnngs- formen ist abgesehen von starken schau­spielerischen Einzelleistungen und isolierten Inszenierungen (deren Beispiele hier bereits erörtert worden sind) infolge des Fehlens einer wesenhaft neue Aufgaben stellenden Dramatik im ganzen über Anlauf und Ver­such nicht hinausgelangt. Es zeigt sich, daß eins Bühne ohne ein lebendiges zeitgenössi­sches Drama nicht bestehen kann.

DaS Theater, außerstande, den Theater­hunger des Publikums mit legitimen Mitteln ?,u sättigen, greift zu den absonderlichsten Ersatzmitteln.' Über Max Reinhardts Großes Schauspielhaus braucht im gegenwärtigen Aitgenblick die Erörterung nicht neu eröffnet

Vühne

> Michel

zu werden. Es selbst sucht die eigene Problematik zu verdecken, indem es eine auf den Kammerton gestimmte Operette zu einer Niesen monstreoper sinnwidrig aufbauscht. Aber auch was im engeren Rahmen der alten Bühne vorgeführt wird, beweist nur allzu oft und allzu deutlich die Unfruchtbar­keit des heutigen Theaters. Einige Theater haben sich neuestens der Pantomime oder wenigstens einer Pantomimenartigen Bühnen­ausnutzung verschrieben.

Gerade diese Fälle zeigen besonders kraß die herrschende Rot- und Ziellosigkeit. Man greift zur Pantomime, ohne sich klar gemacht zu haben, daß sie eine tänzerische Kunst­gattung ist, daß sie sich nur dein erschließt, der sie als Reigen und Tanz zu gestalten weiß. (Der Blick für diese Kunstgattung konnte sich dem öffnen, der das Gastspiel des Schwedischen Balletts im Großen Schau­spielhaus sah. Diese in Berlin nicht ge­nügend gewürdigten schwedischen Tänzer und Tänzerinnen spielten eine als Tanz­dichtung wie als Tanzleistung vorbildliche Pantomime. Wenn demnächst die Staais- oper ihrer Inszenierung derJosephs« Legende" ein großes älteres Ballett folgen lcifzt, wird ausführlicher über heutige Ballett­kunst zu sprechen sein.) Im Deutschen Theater spielt man Leoncavallos Oper Bajazzi" als Pantomime. Aber wenn die Umdichtung zur Pantomime schon als solche schwächlich ist, so hat auch der Einüber Iwan Schmith den Formcharakter der Pantomime nicht an den Wurzeln gepackt. Er hat Wohl viel Beweglichkeit in die Auf­führung hineingetragen (ähnlich wie neulich in seinenTartüff"). Aber die gelegentliche mustkalisch-orchestrisch durchempsündene Be­wegung ist nur Kontrastmittel sür die rhyth­misch ungeformten Szenen, deren Ausdrucks- gehalt rein mit den darstellerischen Mitteln der Sprechbühns (nur wortlos) vorgetragen wird. Dort aber, wo die Darstellung in reinen Tanz übergeht, nämlich in den Tänzen Colombinens, verliert sie völlig den Ausdruckscharakter, wird also geradezu anti- Pantomimisch, da die Darstellerin, die russische Tänzerin Wera Karalli, schauspiele­risch unausgebildet, eine rein technische (freilich als solche bewunderungswürdige) Balletteusenleistung vollbringt. So kam es,

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