Die Besatzungsfrage
Sv!dat dieses Geld nur für unnötige Dinge auszugeben braucht, zahlt er willig jeden Preis, der ihm für eine Ware abverlangt wird. Man möchte annehmen, daß also die rheinischen Kaufleute geschäftlich höchst zufrieden sein könnten. Aber dem erhöhten Umsatz steht die Erscheinung gegenüber, daß die Kaufkraft der Fremden alle Lebensbedürfnisse unerhört in die Höhe getrieben und das Existenzminimum für die Bevölkerung in gefährlichstem Maße emporgeschnellt hat. Denn diese Erhöhung, die in den letzten anderthalb Jahren geradezu sprunghaft eingetreten ist und die z. B. im August 1921. als der Zentner Kartoffeln in Berlin 80 Mark kostete, im Rheinland einen Preis von 130 bis 140 Mark hervorgerufen hatte, setzt natürlich das Wirtschaftsleben den schwierigsten Belastungen und einer zerstörenden Unsicherheit der Kalkulation aus. Die Arbeiterschaft der rheinischen Industrie hat das berechtigte Verlangen, ihre Einkünfte der Teuerung anzupassen. Sehr weite, sozial denkende Kreise der Arbeitgeber haben für die Notwendigkeit der Forderungen volles Verständnis, erklären aber ihre Erfüllung für unmöglich. Die Rheinlande gehören zum deutschen Wirtschaftsgebiet, ihre Währung ist die Mark. Will die rheinische Industrie konkurrenzfähig bleiben, so muß ihre Preisgestaltung Schritt halten mit der Preisbildung der reichsdeutschen Industrie in ihrer Gesamtheit. Das wird ihr aber unmöglich gemacht, wenn sie ihre Löhne über die im Reich üblichen hinaufschrauben muß. Daher steht man im Rheinland vor ganz besonders schweren Lohnkämpfen, die arge Erschütterungen des Wirtschaftslebens mit sich bringen werden, und für die herrschende Unsicherheit kann man das bemerkenswerteste Symptom darin erblicken, daß die rheinische Arbeiterschaft neuerdings keine Tarife mehr für länger als Monatsfrist abschließen will, weil sie der Meinung ist, daß längere Bindungen nicht den Verhältnissen entsprechen. Daß jedoch Lohn Vereinbarungen, die nur für einen Monat getroffen sind, schließlich nicht mehr recht als Tarife zu bezeichnen sind, läßt sich nicht bestreiten.
Das Rheinland ist seit bald drei Jahren mit alliierten Truppen gespickt. Wenn neuerdings in Coblenz sich ein Abnehmen der militärischen Besatzung bemerkbar macht, wenn die Amerikaner tatsächlich Truppen in erheblichem Maße abtransportieren, so wird diese leichte Entspannung völlig wieder ausgeglichen durch die dauernde Vermehrung der K o mm i s s i o n s m i t g li e d e r, die mit Kind und Kegel ihren Einzug halten. Aber es handelt sich überdies bei den Amerikanern bisher doch nur um die Zurückziehung geringer Verbände vom Platten Land. Das flache Land war früher überhaupt ziemlich verschont geblieben, weil es wohl an Unterkunftsmöglichkeiten fehlte. Aber seit der Zeit der glorreichen Sanktionen wimmelt es auch in den kleineren Ortschaften von Ententesoldaten in allen Farben und man sieht im Industriegebiet kaum einen Bauernhof, der nicht mit Kavallerie belegt wäre. Manchmal bemerkt man in kleinen Städten mehr Soldaten als Bürger. Die starke Belegung würde begreiflich sein, wenn irgendwo im Rheinland ein Herd des Aufruhrs wäre, wenn irgend ein Mensch an gewaltsame Erhebung, an ein bewaffnetes Abschütteln des fremden Joches in absehbarer Zeit denken würde! Das ist, so sehr ein leidenschaftlicher Haß, insbesondere gegen die Franzosen, das Land durchglüht und alle Politischen Parteien von den Deutschnationalen bis zu den Unabhängigen wiederholt schon zu gemeinsamem Vorgehen zusammengeschmiedet hat, nicht der Fall. Man weiß im Rheinland vielleicht noch besser als im Reich, daß die Zukunft des neuen Deutschland nicht auf Waffen, sondern auf Arbeit gegründet werden muß, und man hat keinen anderen Wunsch, als den, friedlich seiner Arbeit nachgehen zu können. Um so aufreizender und — lächerlicher wirkt daher die ungeheuerliche Besetzung mit fremder Soldateska.
Sie wirkt um so mehr, als man im Rheinland sich sehr wohl darüber klar ist, daß die Entente mit der Aufrechterhaltung dieser unnützen Besetzung die
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