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Die Besatzungsfrage
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Erich Köhrer

Das Politische vorweg: die Engländer wissen, daß aus den Beziehungen, in die die Besetzung die ausführenden Völker mit dem besetzten deutschen Gebiet bringt, nichts anderes erwachsen kann als ein tiefer, innerlicher Haß. Die Faust, die sich nur in der Tasche ballen darf, das aber Jahre lang tuu muh, wird sich nicht leicht wieder zu einem freundschaftlichen Händedruck öffnen. Die Engländer wissen auch, daß es uumöglich ist, eine Besetzung so zu gestalten, daß der Haß nicht erstarkt. Man kann ihnen das Zeugnis nicht versagen, daß sie gewiß sich bemühen, die Formen der Besetzung zu mildern. Aber die bloße Tat­sache genügt, um Härten zu schaffen, aus denen der Völkerhaß stets neue Kräfte saugt.

Viel wichtiger aber noch sind die wirtschaftlichen Gründe, die gegen das bisherige System sprechen und die den Engländern gewiß nicht unbekannt geblieben sind. Solange 120 oder 160000 Soldaten als Besatzungs­truppe im Rheinland stehen, wird die rheinische Wirtschaft aus tausend Wunden bluten, wird dieser gewaltige Wirtschaftsfaktor nicht nur für die Reparationslasten völlig unfruchtbar bleiben, sondern darüber hinaus die Belastung der Weltwirtschaft nur noch vermehren.

Diese Wirkung übt die Besetzung auf die Gestaltung des rheinischen Wirt­schaftslebens direkt und indirekt aus, in jeder Hinsicht aber gleich verheerend. Zunächst geht von ihr das stärkste Gefühl aus, das in den Bewohnern des besetzten Gebietes lebendig ist, das Gefühl der absoluten Rechtlosigkeit. Die feindliche Soldateska erinnert die Bewohner stündlich daran, daß sie fremder Willkür preisgegeben, nicht mehr Herren im eigenen Hause sind. Dieses Gefühl zerstört natürlich jede Entschlußfähigkeit, jede Neigung zu produktiver Arbeit, jede Tatkraft. Man muß vor neuen Unternehmungen zurückschrecken, wenn man nie vor einem Eingriff der Besatzung sicher ist, und man verliert jenen Lebensmut, der sonst stets gerade ein besonderer Vorzug des Rheinländers war und ihn so zur schaffenden Arbeit ertüchtigte, wenn man im eigenen Heim der Willkür militärischer Einquartierung ausgesetzt ist. Das Kapitel von der Ungeheuerlichkeit der Quartierlasten würde zu dicken Bänden anschwellen, wenn man die Einzel­fälle der privaten Erlebnisse zusammenstellen wollte. Nur ein paar Zahlen aus kommunalen Lasten sollen eine Probe geben. In der nicht sehr geräumigen Stadt Coblenz sind gegenwärtig 500 Quartiere beschlagnahmt. Wer eine Wohnung von sechs Zimmern hat, muß durchschnittlich drei Zimmer abgeben und die Küche gemeinsam mit den Ouartiergästen benutzen, wobei die Gemeinsamkeit darin besteht, daß man von der Gnade der Einquartierung in bezug auf die Benutzung völlig ab­hängig ist. Außerdem sind in Coblenz noch etwa 500 Einzelquartiere von ein oder zwei Zimmern beschlagnahmt und fast sämtliche Hotels mit 900 Betten. In Duisburg, einer Stadt von etwa einer Viertelmillion Einwohnern, wurde Anfang Mai die ursprüngliche Besatzung von 12 000 Mann auf etwa 25 000 Mann vermehrt. Alle nur irgendwie verwendbaren Säle mußten genommen werden, von den 62 Schulen wurden die 26 größten belegt. Sicher blieb mindestens die Hälfte der Schüler ohne Unterricht. Daß zahlreiche Fabriken, Schuppen und dergleichen ihrem ursprünglichen, produktiven Zweck entzogen wurden, um als Unterkünfte zu dienen, ist begreiflich.

Aber wenn die Besetzung auf der einen Seite solche druckenden Lasten bringt und die B e t ä t i g u n g s m ö g l i ch k e i t e n der Bevölkerung stark b e -> hindert, so unterstreicht sie diese Wirkung noch dadurch, daß sie die Existenz- notwendigkeiten außerordentlich in die Höhe treibt. Der gemeine Mann bekommt in dem amerikanischen Söldnerheer täglich einen Dollar außer der Stellung aller Lebensbedürfnisse. Das war im November ein Tageslohn von 300 Mark, und wenn der Kurs auch wieder gefallen und wenn die Valuta der anderen fremden Truppen nicht ganz so günstig ist, so kann man doch sagen, daß die Löhne sich zwischen 60 und 150 Mark mindestens bewegen. Da der

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