Der M usikchronist
Der Musikchronist
Von Schrenk
Es ziemt sich, zu Beginn dieses Berichtes von dem Manne zu reden, dessen vor wenig Tagen erfolgter Tod die furchtbarste und unersetzlichste Lücke nicht nur in unser Musikleben, sondern in das der ganzen Welt gerissen hat, von Arthur Nikisch. Als sich die Kunde von seiner Erkrankung verbreitete, hofften wir alle, die wir ihn liebten und verehrten, daß er bald wieder in der alten Frische zu uns zurückkehren würde. Und nun erlag er doch der heimtückischen Grippe, die schon so viele Opfer gefordert hat, wir werden nie mehr die Beglückungen seiner unvergleichlichen Kunst empfinden, wir sind um einen der größten Künstler ärmer geworden. Wie soll'man in wenigen Worten das sagen, was er war und wirkte I Wie soll man jetzt, unter dem lähmenden Gefühl schwerer Trauer, das Riesenmaß seiner in fast zwei Menschenaltern vollbrachten Leistungen so recht würdigen! Etwas Geheimnisvolles, Faszinierendes war in seiner Kunst der Orchesterleitung, mochte er nun das Leipziger Gewandhausorchester, die Bostoner, Wiener oder unsere Berliner Philharmoniker dirigieren. Die Kraft seiner unendlich reichen Musikerpersönlichkeit schuf uns einzigartige Eindrücke, die jedem, der sie empfing, unvergeßlich bleiben werden. Wir wissen nicht, wie er das machte, wie er, ein Zauberer des schönen Klanges, das Orchester zu den außerordentlichsten Leistungen aufrief, wir wissen nur, daß dieses alles nie mehr wiederkommen wird. Wir werden diese Offenbarungen eines einzigartigen Dirigentengenies nicht mehr erleben. Unauslöschlich aber ist unsere Dankbarkeit für alles, was er unS gab; nun, da er nicht mehr lebt, wird er, der ein großer Künstler und ein großer, gütiger Mensch war, wie ein Mythos in unserer Erinnerung leben.
Doch auch die Lebenden verlangen ihr Recht; es gilt, die Trauer um diesen Fürsten der Musik zurückzukämmen und wieder der schaffenden Arbeit des TageS zu gedenken. Da handelt eS sich auf dem Gebiete der Oper vor allem um die Neueinstudierung von Mozarts „Z a u b e r fl ö t e" in der Staatsoper. Wir haben sie schon lange im Spielplan vermißt, nun aber konnte man mit Freuden konstatieren, daß das Wagnis ihrer Aufführung (denn ein Wagnis ist es in jeder Hinsicht) vollkommen geglückt ist. Man verspürte unter der Leitung Leo
Blechs jeuen Hauch des Transzendenten, aller Jrdischkeit Entrückten, der diese Musik zu den wenigen Wundern macht, deren unsere Erde sich noch freuen kann. Diese fast naturhaft hinströmende Musik legt sich in ihrer tiefen, atmenden Süßigkeit wie ein goldenes Netz über die zuweilen bis zur UnVerständlichkeit ineinander verschlungenen Fäden der Schikancdcrschen Handlung. Zwar hat sie den mystischen Unterton deS Märchens, aber sie ist ganz unromantisch und fern aller Sentimentalität. Der tiefe Sinn dieses Spieles liegt in ihr beschlossen, in herber, volteliedhafter Einfachheit spricht sie von den letzten und höchsten Dingen des Lebens in einer Form, deren Geschlossenheit einzigartig ist. Dieses letzte Bühnenwerk Mozarts umschließt die Sunnne seines Lebens und seiner Kunst; er aber starb zwei Monate nach der ersten Aufführung, und man begrub ihn in einem Massengrab. . . .
Von den Mitwirkenden nenne ich in erster Linie die Pamina der Elisabeth Reth- berg, deren Mozartgesang wahrhaft köstlich ist. Otto Helgers wär ein sehr schön singender Sarastro, und Benno Ziegler ein darstellerisch und gesanglich vortrefflicher Papageno. Die Dekorationen und Kostümentwürfe hatte Ludwig Kainer geschaffen.
Zu den wichtigsten musikalischen Ereignissen des Januar gehörte die „Hans Pfitzner - Woche ", die vom „Anbruch" unter Förderung der Staatsoper veranstaltet wurde. Leider hatte man es sich damit etwas bequem gemacht Außer der Uraufführung der romantischen Kantate „Von deutscher Seele" gab es neben dem „Palestrina" und dem „Christelflein" nur noch einen Kammermusikabend. Wenn man sich aber schon zu einer so ehrenvollen Demonstration für Pfitzner entschloß, so hätte man, meine ich, doch auch ein Übriges tun und zumindest sein schönstes und für seine Art bezeichnendstes Werk, die „Rose vom Liebesgarten" endlich einmal auffuhren können. Von der unter Pfitzners Leitung vor sich gehenden Aufführung des „Palestrina" ist zu sagen, daß sie jede einheitliche Wirkung vermissen ließ. Das liegt natürlich an dem Werk, dessen übergroße Längen ermüdend wirken. Als große Höhepunkte bleiben bestehen die
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