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Ein Urfehler des heutigen Strafvollzugs
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Ein Urfehler des heutigen S t r a f v o l l z u g Z

Ein Urfehler des heutigen Strafvollzugs

von Heinrich Reuß

Ä)ie die französische Revolution im Sturm auf die Bastille dem französische» Volte mit der Befreiung einiger Verbrecher den Nationalfeiertag des 14. Juli schuf, so gipfelte die deutsche Revolution von 1918 als affenartiger Abklatsch in der Erstürmung einzelner großstädtischer Untersuchungsgefängnisse, deren Insassen gewaltsam befreit wurden, um sich nach einigen Tagen zu einem großen Teile wieder selbst zu stellen. Es liegt etwas höchst Charakteristisches für die Denkweise der Franzosen darin, daß der Rufnach der Bastille" und die gewaltsame Befreiung einiger Verbrecher eine Erinnerung für sie bedeutet, die sie als höchstes Nationalfest der Republik feiern. Staatsgesängnisse sind zu allen Zeiten ein notwendiges Übel, eine höchst beschämende Kulturbeigabe des Staatslebens gewesen. Für das weitere Publikum waren sie zu allen Zeiten mit dem Schleier schauerlicher Geheimnisse umwoben. Aber die Zeiten desfinsteren Despotismus" oderrichterlicher Klassenjustiz" odergrauenhafter Inquisition" waren damals schon längst vorüber, und heute sind die Strafgefängnisse keine Zwingburgen völkischer Freiheit, keine steinernen Sinnbilder irgendwelcher Tyrannei, sondern absolut geheimnislose Quartiere statistischer Bürokratie und Brutstätten eines geistlosen Schematismus, in dem sich das Phlegma einer wie Pilze aus der Erde quellenden Beamtenschar froh und fröhlich tummelt. Da nimmt es auch nicht Wunder, daß die Gefängnisse heute sehr volkstümlich sind infolge dieser Hypertrophie der Beamten, die den Staatssäckel leeren helfen, heute Bücher über Bücher, Studien über Studien, Vorschläge über Vorschläge schreiben, die der Bedeutung des französischen Nationalfestes entsprechend einen Hauptwendepunkt, einen völligen Systemwechsel im Strafvollzug prophezeien und damit auch in Deutschland ein neues goldenes Zeitalter in der gesamten Erziehung unseres Volkes anzubahnen versprechen. Das Gefängnis und Zuchthaus muß doch auf Revolutionäre und revolutionslüsterne Parteien einen ganz besonderen Reiz aus­üben. Glaubt man wirklich daran, daß Gefängnis und Gefängnisleben erzieht? Oder glaubt man wirklich die Zukunftsbestimmung und Wichtigkeit des Straf­vollzugs mit der einseitigen Feststellung zu retten, daß der demokratische Straf­vollzug von heute alle Schwierigkeiten des Strafvollzugs beseitigen, alle Fragen und Probleme spielend lösen und die Wirkungslosigkeit des Strafvollzugs bannen wird?

Vor mir liegt eine BroschüreWir alle", ein Kampfruf an die Gerechten für Straf- und Gefängnisreform von dem Doktor beider Rechte John F. Vuilleumier

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