Berliner Bühne
Berliner Bühne
Von Artur Michel
Einen Neigen heiterer Neuaufführungen ließ die Weihnachts- und Neujahrszeit an dem Beobachter des Berliner Theaterlebens vorbeiziehen. Brauch ich zu sagen, daß unter Heiterkeit in einer Stadt wie Berlin sehr verschiedenes verstanden wird? Eine Welt liegt zwischen dem lasziven Schwank 'Panischer Herkunft, dessen starke Wiirze dem Publikum des Lustspielhauses ein fragwürdiges Vergnügen bereitete, und etwa Ludwig Tiecks altberliner Literaturkomödie „Der gestiefelte Kater", die in der Volksbühne die Menge der Zuschauer in echte Lustigkeit versetzte; und wieder aus anderen Bezirken kommt Nestroys altwiener Zauberposse „Lumpaci Vagabundus", die die Neujahrsgabe des staatlichen Schauspielhauses bildete.
Über die Ausführung der Nestroyschen Posse ist nicht viel zu sagen. Nicht viel dagegen (was freilich viel sagen will), aber auch nicht viel dafür. Sie übernahm bewußt von der älteren Tradition die Einfachheit und Anspruchslosigkeit der Inszenierung, die Primitivität der Zaubermaschinerie und eine gemütlich-harmlose (leider nicht sehr lebendige) Spielweise, die dazu Paszie, daß hier sogar die Feen und Feenkönige gut wienerisch reden und sich mit einem Servus, Ew. Gnade» I von einander verabschieden. Aber dies alles wollte sich nicht recht in die Riesenmaße der Bühne fügen. Es fehlte die kleinbürgerlich-märchenhafte Enge, in die solche Stücke ursprünglich und damit endgültig hineingedacht, hineinkomponiert sind. So wirkten besonders die Interieurs zu weiträumig und, bei der sparsamen Ausstattung, zu leer, zu ausdruckslos. Die Schauspieler aber hatten gar keine Beziehung zu diesen unverhältnismäßig großen Wandflächen, diesen ausgedehnten Zimmern. Es fehlte 5en Vorgängen die räumliche Dichtigkeit, die Atmosphäre. Sie entströmte auch nicht der Darstellung. Altwienertum läßt sich selbst von einem echten Wiener wie Karl Etlinger einem Zusallsensemble — wie es nun ein
mal auf den heutigen Bühnen, auch im Staatsthsater, trotz allem Bemühen Jeszners, sich findet — nicht von heute auf morgen einimpfen.
Abgesehen von manchen ledernen Einzelleistungen standen auch die führenden Schauspieler nur in mechanischen Beziehungen zueinander. Es ist bezeichnend, daß selbst die beiden Hauptdarsteller (das dritte Mitglied des „liederlichen Kleeblatts" war farblos) fremd nebeneinander her spielten. Karl Etlinger, der den Knieriem gab, ist in Berlin beinahe der einzige echte Komödiant alten Schlages, vom Stamm der Girardi: ein behaglich-saftiger Schauspieler von einer sanften, süsfigen Fidelität. Er hat das gute Können früherer Generationen, das sich wie von selbst in lebendigen, vermenschlichenden Ausdruck umsetzt. Der Darsteller deS Schneiders Zwirn dagegen, Fritz Hirsch (er siel zuerst im „Sturm" auf), ist zwar der quecksilbrigste Schauspieler, den man sich denken kann; aber seine federnde Zappligkeit steht nicht im Dienste des Ausdrucks. Er ist — dank einer unbegrenzten Fülle von Einfällen — urkomisch (während Etlinger urlustig ist), aber mrnschlich uninteressant. Denn er „belebt" nicht eine „Gestalt", sondern reißt eine Schablone in die wirbelnde Bewegung seiner Beine, seiner Hände, seiner Zunge.
Dagegen bewies die Aufführung des „Gestiefelten Katers" in der Volksbühne, daß der zielsichere Wille und die feste Hand eines phantasiereichen Spielleiters auch eine initiiere Theatertruppe zu einer starken, lebendigen Gesamtleistung zusammenzwingen kann. Jürgen Fchling hatte eine fast vergessene Literaturkomödie der Romantik aus- gegraben. Auf die Bühne aber stellte er „eine luftige Komposition, die ganz Schaum und leichler Scherz ist" (um mit des Dichters eigenen Worten zu reden). Für Tieck ist ja das Märchen vom gestiefelten Kater nur
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