Aus der Borgeschichte des Krieges
Aus der Vorgeschichte des Arieges
Der Bonner Historiker W. Platzhoff untersucht im Dezemberheft 1921 der „Westmark" neue ausländische Veröffentlichungen, wie Poincarös Buch und die Siebertschen Akten, und kommt dabei zu Formulierungen, welche Verbreitung verdienen. Ich hebe einige der für das heutige Geschichtsbewußtsein wichtigsten Punkte heraus.
Die Reichsgründung von 1871 hat durch die Störung des bisherigen europäischen „Gleichgewichts" schon den Keim zur Entente gelegt, gemäß dem Ausspruch des britischen Botschafters in Rom, der Mitte der neunziger Jahre zu seinem deutschen Kollegen bemerkte: „Wieviel gemütlicher und bequemer war es doch in der Politik, als England, Frankreich und Rußland den europäischen Areopag bildeten und höchstens gelegentlich Osterreich herangezogen zu werden brauchte."
Frankreich hat niemals nur nach Revanche gestrebt, sondern stets nach Rheingewalt und Hegemonie zurückverlangt, und wenn Vismarck durch seine Bündnispolitik Frankreich isolierte, so geschah dies selbstverständlich in defensiver Absicht. In diesem Zusammenhang erwähnt Platzhoff Disraelis Bereitschaft, im Oktober 1876 Deutschland den Besitz Elsaß-Lothringens zu garantieren, wobei er der Königin und dem Außenminister gegenüber die Äußerung tat: „Wir wünschen Frankreich nicht schwächer, als es ist: aber als es stärker war, schuf es uns eine Fülle von Ungelegenheiten." Lloyd George, der Frankreich wieder stärker gemacht hat, mag sich dieses Wortes erinnern. Im übrigen bedeutete die deutsche Gegenleistung die Garantie Konstanünopels, also den Krieg mit Nußland, war also unannehmbar, und so scheiterte diese Erwägung von 1876 an demselben entscheidenden Punkt wie die Chamberlainschen Wünsche um die Jahrhundertwende"). Im Jahre 1880 trat dann schon die Konstellation von 19l2 schattenhaft in die Erscheinung: Balkankrieg gegen die Türkei unter russisch.französischer Ägide mit britischer Duldung, damit Einleitung des konzentrischen Angriffes auf Mitteleuropa. Die Kombination scheiterte 1880 weniger an Rußland, als an dem mangelnden militärischen Selbstvertrauen der Franzosen. Im späteren russischfranzösischen Zweibund seit 1892 bremste der Zar zunächst die französische Kriegslust; doch trat dies Moment immer mehr zurück, seit England als stiller Teilhaber des Zweibundes sich betätigte. England als das in Wirklichkeit aufreizende Element der europäischen Lage seit 1904 tritt bei Platzhoff scharf heraus. Wenn Grey 1912 den Russen zu deren Beruhigung sagt, die Haldanesche Berliner Mission bezwecke neue Beziehungen zu Deutschland herzustellen, ähnlich denen, die zwischen Nußland und Deutschland und zwischen Frankreich und Deutschland bestehen, so ist dies der reine Hahn auf diejenigen Deutschen, die bei Haldane ernsthafte Verständigungsabsichten witterten. Paleologue hatte recht, wenn er 1912 die deutsch-englische Spannnng mit der preußisch-französischen Schwüle von 1866 bis 1870 verglich. Sehr interessant ist freilich, daß Grey im Februar 1912 den Russen, um sie in der persischen Frage nachgiebig zu stimmen, mit einem blitzschnellen Umschwung Englands von der Entente zu Deutschland hinüber drohte. England hat stets mehrere Pfeile im Köcher. Daß England den Russen so drohte, ist freilich noch lange kein Beweis für den Ernst der Schwenkungsmöglichkeit. Jedoch niemals waren wir der Verständigung mit England näher, als im Augenblick unbeirrter Steigerung unserer Macht bis zu
"j Die Eckardsteinschen Phantasien, an die heute noch neun Zehntel der Historiker glauben, find jetzt von Hagen in den Preußischen Jahrbüchern 1921 gründlich erledig! worden. Auch Platzhoff verhält sich Eckardstein gegenüber kritisch.
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