Das Koalitionsproblem
9as Aoalitionsproblem
Von Dr. Alphons Nobel
^er Versuch, das Koalitionsproblem oder besser die zur Koalition drängenden Zeitumstände soziologisch zu erfassen, müßte auf einer genauen Wesensbetrachtung der heutigen Parteien aufgebaut sein. Das Wort „Partei" hängt mit pars zusammen. Und das scheint kein sprachlicher Zufall, denn „Partei" kann den Begriff „Teil" sicherlich noch in einem tieferen Sinn enthalten, als nur der wäre, daß es sich rein äußerlich bei Parteien um Zerspalturgen und Teilungen der politischen Gesamtheit einer Nation handelt. Einen tieferen Sinn als diese Selbstverständlichkeit hat der Name „Partei" erst dann, wenn das Teil-sein ins bewußte Denken der Partei übergeht, Prinzip ihres Handelns wird, indem sie sich bestrebt, auch die Funktion des Teils zu erfüllen. Dies ist zweifellos bei der Mehrzahl der europäischen Parteien heute der Fall — und dies ist das Koalitionsproblem.
Was mit der „Funktion des Teils" gemeint ist, dürfte klar werden, wenn man (nur zu diesem Zwecke) zwei Wesensarten von politischen Parteien unterscheidet: eine Gruppe von Parteien (es sind meist radikale und extreme Parteien) behauptet irgendwie der Kern der Nation darzustellen, zum Träger seiner Zukunft bestimmt zu sein und glaubt alle Andersdenkenden im Irrtum befangen; eine solche Partei muß notwendig alle anderen vernichten und deren Anhänger in sich einbeziehen wollen, sie erhebt ja den Anspruch alleiniger Daseinsberechtigung, identifiziert sich mit der Nation (in der sozialistischen Terminologie mit dem „Volke") dessen historische Idee, dessen Werte und Ziele sie allein zu vertreten angibt.
Im Gegensatz zu dieser sich naturgemäß isolierenden Parteigattung steht eine andere Gruppe politischer Parteien, die von vornherein zum Kompromiß neigen aus dem Bewußtsein heraus, eben nur Partei, das heißt Teil, zu sein. Daß dem mitunter eine Resignation im Glauben an die Durchschlagskraft des Programms zugrunde liegt, ist in diesem Zusammenhange unerheblich. Anderer- seits schließt diese Einstellung keineswegs ein fanatisches Bekenntnis zum Programm ans. Worauf es hier ankommt, ist die Bereitschaft, auch anderen Parteien Dasein, und mehr, Daseinsberechtigung zuzusprechen.
Das klassische Beispiel für solche Einstellung war das englische Zweiparteiensystem der Vorkriegszeit. Es wurde an dieser Stelle bereits von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet"). Jede der beiden großen englischen Parteien, Liberale sowohl wie Unionisten, erkannte die andere auch in der Opposition als wesentlichen Bestandteil des Staates an und wünschte keinesfalls, daß der Gegner zusammenschrumpfe oder gar verschwinde, sondern auf dem Wechsel der Macht, dem
Vergl. Grcnzboten, Heft 43, Nobel: Zweiparteiensystem in England.
125