Die Grenzboten
Politik, Literatur und Nunst
8^. Jahrg., 28. Januar M2 Nummer
Deutschlands Lage in Europa
Von Fritz Aern
Unsre mitteleuropäische Lage hat zu verschiedenen Zeiten politisch völlig Verschiedenes bedeutet. Der großartige Flankenangriff der Römer, um gleichzeitig von der Rhein- und Donaulinie her Deutschland zu erobern, und sein Scheitern hat auf unsere heutige Lage so wenig unmittelbare Beziehung mehr, wie die darauffolgende Epoche, in welcher QermaniA Aermirums, das männerreichs Ursprungsland der großen Völkerwanderung, nach Ost und West seine überschüssigen Scharen bis zum Schwarzen Meer, bis nach Britanien, Spanien und Nordafrika fluten ließ. Unmittelbar beginnt die zur Gegenwart hinführende geographisch- Politische Geschichtslinie etwa mit dem Vertrag von Verdun: Ostfrancien liegt zwischen Frankoromanen, Lombardoromcmen, Slawen und Skandinaviern, wie wir selbst, — und doch gänzlich anders.
Nirgendwo grenzte ein kräftiger Staat an Ostfrancien. Auch Ostfrancien, die Placenta Deutschlands, ist kein kräftiger Staat. Eine Handvoll wikingischer oder ungarischer Plünderer vermag fast ungestraft im Land umherzukreuzen. Trotzdem steht dies schwache Ostfrancien fest, weil keine Macht da ist, es umzuwerfen. Als nun gar die Ottonen die gesammelte Kraft des sächsischen Stammes dem deutschen Königtum zur Verfügung stellen, da ist dies Deutschland, obwohl als Staat ganz und gar unfertig, durch die Masse und Volkskraft seiner Bewohner, noch mehr jedoch durch die Zerrissenheit der damaligen französischen Provinzen, italienischen Gaue und slawischen Völkerschaften, also durch die Schwäche der Nachbarn die vorwaltende Macht Europas. Unsere mitteleuropäische Lage wird uns damals zum Vorteil — allerdings einem verhängnisvollen Vorteil, weil Grenzboten I 1022
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