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Weltspiegel
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O. G. von Wesendouk

von Entschädigungen an Rußland auf Grund des Versailler Friedens aufbürden. Der Zweck der Konferenz von Genua, zu der Lloyd George bei dem Ausein­andergehen der Canner Zusammenkunft die Deutschen noch ausdrücklich eingeladen hat. ist jedenfalls der. Demschlcmd von eigener Betätigung in Rußland abzu­schneiden und ihm dort Fesseln aufzuerlegen. Die wichtigste Folge des Ent­schlusses, eine allgemeine europäische "Wirtschaftskonferenz einzuberufen, ist die Stärkung des Ansehens der bolschewistischen Regierung.

Poinco.ro will die Erneuerung Europas nicht über Deutschland, sondern über die neuen Staaten leiten, die nach dem Weltkriege emporgeschossen sind. Auch in diesem Punkte weicht er höchstens in der Nuance von Briand ab. Deutschland soll der Fronarbeiter der Entente bleiben und durch einen Ring Frank­reichs ergebener Vasallenstaaten im Zustand der Unterdrückung erhalten werden. So ist Polen Frankreichs Wächter im Osten.

Polen soll deshalb auch nach dein Vorschlage Pvineares in das englisch- französische Militärbündnis aufgenommen und gegendeutsche" Angriffe be­schützt werden. Es trennt Teutschland von Rußland uud ist dazu ausersehen, Frankreich auf dem Umwege über die polnische Industrie den Zu­tritt zum russische!: Markte zu öffnen, denn Paris wiegt sich in der Illusion, die TexMproduttton von Lodz wieder^uerwecken und neues geschäftliches Leben in Polen erstehen zu lassen. Den Tschechen und den übrigen Mächten der Kleinen Entente will Poincare seine besondere Aufmerksamkeit widmen. Ein Vertreter der Wiener Regierung war schießlich doch nicht nach Cannes geladen worden, aber die österreichischen Reparationen sind einer wohlwollenden Prüfung sicher, so lange der Anschlußgedanke dadurch getötet werden kann. Osterreich wird auf die Kleine Entente angewiesen. Da das deutsche Empfinden der Österreicher aber nicht erstickt werden kann, soll es den Frankreich ergebenen Nachbaren wirt­schaftlich ausgeliefert werden. Dem zutage tretenden verstärkten Interesse Frank­reichs für die österreichisch-ungarischen Nachfolgestaaten wird mau iu Italien mit berechtigtem Mißtrauen begegnen. Dort ist man stolz auf die Konferenz von Genua, zu deren Zustandekommen Italiens einsichtige Haltung nicht un­wesentlich beigetragen hat. Poincare hat in seinen Presseäußerungeu immer viel schöne Worte für die lateinische Schwester übrig gehabt, aber seine aus­gesprochenen Hegemonieabsichten müssen mit den berechtigten Großmachtansprüchen der Italiener in Konflikt geraten. Mit Spanien steht Frankreich schon in einem scharfen Handelskonfllkt, der durch die politischen Zwistigkeiten über Marokko noch verstärkt wird. Das Kabinett Maura ist wegen des von Frankreich geschürteu Aufstandes in Marokko zurückgetreten, weil der Kriegsminister La Cierva gegen die militärische Nebenregierung der Juntas, der Offiziersvereinigungen, auszu­treten versucht hat. Jedoch wird Manra, den alle Parteiführer als den allein maßgebenden Mann bezeichnen, unter Ausschiffung La Ciervas die Regierungs­bildung wieder übernehmen. Mauras Autorität braucht Spanien schon, weil in Cannes die seine Interessen aufs engste berührende Frage von Tanger auf­geworfen worden ist. Bisher scheint das englische, auch für Spanien annehm­bare Projekt der Jnternationalisierung dieses Hafens au Boden gewonnen zu, haben.

Auch wenn Poincare äußerlich Entgegenkommen zu zeigen trachtet, wird sein Regime das Element der Unruhe in Europa stärken und den Kontinent nicht zum dauernden Frieden kommen lassen, der nun einmal ohne die Gesundung Deutschlands nicht erreicht werden kann. V. G. von Wesen donk

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