Kurt E,l gelbrecht
Für den Künstler aber heißt es alsdann, das Unfaßliche zu ergreifen, das Formlose in Gestalt zu bringen, das Entschwebende zu fesseln und in den Bereich des Sichtbaren herabzuziehen, so daß es auch für andere ein Stück Wirklichkeit werde, da es doch der Wirklichkeit so fern und fremd erschien.
Und hier nun tritt die deutsche Eigenart in ihr volles Recht, wo die Phantasie im Kunstwerk sich ihr köstlich freies und weites Reich schafft. Wir können und wollen dem Romanen keineswegs den Besitz der Phantasie streitig macken. Wenn er jedoch behauptet, wir Teutsche winen phantasielos und unsere Kunst wäre phantasiearm, so liegt das, wenn wir nicht böswillige Verkleinerungs- sucht als Grund annehmen wollen, lediglich an einer völligen Verständnislosigkeit für das Wesen unserer Phantasie und für die Sonderheit des Phantastischen in unserer Kunst.
Wo die Phantasie des Romanen ihre Gebilde zu gestalten versucht, bleibt sie ausschließlich im überlegen Geistreichen, im launig Witzigen stecken. So ist dann auch nur folgerichtig die Phantastik des Romanen vorwiegend auf das Formale eingestellt. Ganz anders ist es beim deutschen Künstler. Es genügt ihm nicht, das Phantastische rein in seiner Absonderlichkeit und Wirklichkeitsfremdheit zu gestalten. Er sucht einen höheren Sinn aus den Träumen seiner Phantasie, die er ebenso reich und lebhaft in seinem Geiste herbergt wie der Romane, herauszukristallisieren, er gibt den Gebilden ein tieferes seelisches Leben mit auf ihren Weg in die Welt der Formen, ein Leben, das aus seinem Innersten stammt und von der innigen Teilnahme seines Gemütes Kunde gibt.
So ist die Phantastik bei Dürer. Cranach und bei den wirklichkeitsfrohen Holländern, so bei Runge und Schwind, Böcklin und Thoma zu verstehen.
Es ist bei den? echten deutschen Künstler gewissermaßen eine drängende sehnende Flucht aus dem Gewöhnlichen und Alltäglichen, wenn er sich seinen Träumen hingibt und jene wunderbaren Gebilde hervorbringt, an denen gegenwärtige und kommende Geschlechter herumdeuteln, ohne doch den verborgenen Sinn voll zu erfassen. Das Phantastische ist mit seiner Persönlichkeit eng verwachsen und kann nur aus ihr befriedigend erklärt werden. Es ist nicht der Ausdruck eines krankhaften Geistes, einer Gemütsverwirrung — wie es der Franzose gern darstellen möchte — im Gegenteil, es ist ein Zeichen der Gesundheit und der starken Seelenkraft, sich frei zu machen von hemmenden Ketten und das Unglück zu einem Glück, das Dunkel zum Licht umzubilden.
Freilich müssen wir uns offen emgestehen, daß auch dem nüchternen deutschen Alltagsmenschen — besonders in unserer vielfach so phantasiefeindlichen Gegenwart — das Verständnis für das Phantastische in unserer Kunst abgeht. Von einer Vorliebe für das Phantastische jedoch, wie sie der deutsche Künstler immer hegen wird, mag der moderne, im Zahlen- und Maschinengetriebe stehende Mensch kaum noch etwas begreifen. Gebilde wie Dürers allegorische Kupferstiche, Teniers und BrueghelS phantastische Szenen wurden zu ihrer Zeit ohne weiteres verstanden und als ein Ausdruck germanischer Empfindungsweise aufgenommen. Unsere Künstler heute haben noch dieselbe Vorliebe für das Phantastische, aber sie richten damit ungewollt eine höchst bedauerliche Scheidemauer auf zwischen sich und einem so häufig nur noch an das Allergreifbarste gewöhnten Publikum.
Auch hier tut ein Besinnen not, das zu einem Wiedergewinnen köstlichen urdeutschen Seelengutes führen muß. Es geht uns viel mehr verloren, als wir wohl meinen, wenn uns der Sinn für das Phantasiegeborene in unserer Kunst abhanden kommt. Unser Leben ist vielfach so geradlinig geworden wie die Wirklichkeit selbst. Und geben wir es nur zu, es ist damit auch herzlich nüchtern geworden. Wir tragen aber unverkennbar und unauslöschlich, wenn uns das
W8