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Staat und Kultur : eine Frage der Gegenwart
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Rudolf Eucken

Htaat und Aultuv

Eine Frage der Gegenwart

von Rudolf Gucken

^ u den zahlreichen Fragen, die nns heute umdrängen und entzweien, gehört das Verhältnis von Staat und Kultur. Ist der Staat nur ein Diener der Kultur, oder hat er eine selbständige Aufgabe und einen selbständigen Wert? Weltbürger­tum 'und nationale Gestaltung geraten dabei leicht in einen schroffen 'Gegensatz, Die Art dieser Auseinandersetzung entscheidet aber über den Charakter des ge­meinsamen Lebens. Ältere und jüngere Gedankenmassen verbinden sich dabei eng, die Not der Zeit drängt hier zn einer klaren Entscheidung.

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Jn dem Aufbau und in der Durchbildung der Kultur hat die Neuzeit ihre Eigentümlichkeit und ihre Größe gefunden; unterwarf das Mittelaltcr alles Streben der Herrschaft der Religion, so fühlte die neuere Menschheit sich stark genug, sich das Leben selbst zu bereiten, nun erst schien sie eine volle Mündigkeil zu erreichen. Dem gehobenen Selbstvertrauen entsprach eine gewaltige Kraft­entfaltung; sowohl in der Gesamtrichtung als iu den einzelnen Gebieten wurde das menschliche Leben auf sich selbst gestellt, kühnen Mutes durfte es wagen, die ganze Wirklichkeit vernünftig zn machen und alle Vernunft zn verwirklichen. Träger und Gefäß der Knltnr aber war der Mensch, das geistige und selbsttätige Leben; dieses Wesen zu voller Bewußtheit und Herrschaft zu führen, das dünkte die höchste Aufgabe der Menschheit, diese Aufgabe verdrängte alle Unterschiede nnd Gegensätze, kleinlich konnte es scheinen, für sich selbst etwas Besonderes zu erstreben.

Hatle die Aufklärung diesem Streben eine zu verstandesmüßige Art ge­geben, so überwand die Höhe der deutschen Knltnr alle Enge dnrch einen univer­salen Humanismus, der dem Streben eine innere Verklürnng und eine unbe­grenzte Weite verlieh. Namentlich wnrde die Kunst ein Vermögen, alle Nöte und Sorgen zn überwinden und alles Kleine abzustreifen, Schiller uud Goethe waren einig, von der Phantasie ein höheres Leben zu erwarten:

Wollt ihr hoch auf ihren Flügeln schwebe», Werft die Äugst des Irdischen von ench, Flüchtet aus dem engen, dumpfen Leben, In des Ideales Reich." ,

Solche Wendung von der sichtbaren Welt konnte leicht eine Gering­schätzung des StaatslebenS erzeugen, dieses erschien wohl als ein Reich bloßer Notwendigkeit, das man gern hinter sich ließ, eine solche Denkweise 'spricht z. B. aus den Worten von Friedrich Schlegel:

Nicht in die politische Welt verschleudere du Glanbcn und Liebe, aber in der göttlichen Welt der Wissenschaft und der Knnst opfere dein Innerstes, in den heiligen Feuerstrom ewiger Bildung."

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