Fischer von Potuyzn
Tirolische Politik
Von Fischer von j)otnyzn
Einläßlich des Botschafterwechsels in Roiu wurden dem neuen Vertreter des Reiches am Quirinal in nahezu sämtlichen deutschen Blättern gute Ratschläge zuteil, die in den meisten Punkten der eben aktuellen Fragen wohl erheblich auseinandergingen, in einer Ansicht indessen sich kaum unterschieden: er möge wohlweislich Bedacht nehmen auf die ganz uugemeine italienische Empfindlichkeit, mit der Rom die Brennergrenze bewacht und es wäre kein gerade gewinnbringen-i der Eintausch, statt eiuer möglichen dentsch-italienischen Verständigung der Tiroler Jrredenta Wege zu bereiten. Die Gefahr wäre in einem gewissen Sinne hierfür gegeben, da die Tiroler es ausnehmend gut verstehen, von sich sprecheu zu lassen. Diese Tatsache ist, wenn man sie von ihrer propagandistischen Betonung befreit, zweifellos richtig; doch steht sie eigentlich nur zum kleineren Teil mit dem Schicksale der zweihundertfünfzigtausend italienisches Staatsbürger gewordenen Dcutsch- tiroler im Zusammenhang. Es wäre möglich, daß sogar bei einer durch den Friedensvertrag nicht zerstörten tausendjährigen Einheit des „Landes im Gebirge" — wie seiue Bezeichnung vor dieser lautete — die tirolische Frage, in nicht minderem Maße die deutsche Politik beschäftigte. Es soll von vornherein hiermit ein das tatsächliche Jnteressenverhältnis politischer Bedeutung zwischen einein kleinen Lande und dem Reichsschicksal übersehender Lokalpatriotismus abgelehnt werden. Die Tirölische Politik ist aber im Rahmen des Grenzdeutschtums ein sehr maßgebendes Kapitel. Die Sorge um sichere Grenzen muß das Reich heute loslösen von der militaristischen Sicherung — aber desto mehr muß die deutsche Volkseinheit, die Reichsfrende in den Grenzmarken aller Himmelsrichtungen mit Interesse und Sorge erhaltest und gefördert werden. Die Entwicklung einheitlichen deutschen Greuzwillests wird der vaterländischen Erneuerung viel fördernde. Kräfte abgeben.
Und in diesem Maßstabe betrachtet, ist es zweifellos weit mehr wie eine politische Kuriosität, wie allein an den tatsächlichen Ereignissen eines Jahres gemessen, das Thema „Tirol", also'des kleinsten deutschen Grenzlandes mit seiner halben Million Bewohner beiderseits des Brenners, die Nationalversammlung in Wien, das Parlament in Rom und den Reichstag — man erinnere sich nur an die Begrüßung des Tiroler Abstimmungsergebnisses ^- beschäftigte. In diesen drei Hauptstädten liegen drei das Volk im stärksten Maße beschäftigendes Grundlagen seines politischen Kampfes: die Homerule für den italienisch gewordenen Landesteil, die Landesrechte von Osterrcichisch-Tirol uud der Anschluß an das Reich. Mit dem Einzüge der vier deutschsüdtiroler Abgeordneten auf dem Montecitorio, mit der freiwilligen Abstimmung Nordtirols im April bzw. Juni sind äußerlich das erstere und letztgenannte Kampfmoment am sichtbarsten hervorgetreten, während die zeitweilig zur erfolgreichen Offensive übergehende Verteidigung „gegen Wien" in einer im Dezember ergangenen Entschließung der Tiroler Volkspartei vielleicht dadurch, daß ein früherer Bundeskanzler selbst der Verfasser dieses die „Tiroler Selbsthilfe" ankündigenden Manifestes ist, die stärkste Pointe erhielt.
Es soll indessen im folgenden kein politischer Kaleuderbericht gegeben werden — bei den erwähnten Hauptzielen ist es erklärlich, daß der Kampf um diese mit der Entwicklung der allgemeinen Lage in seinen Wechselfällen sehr verbmchen war. Hier würde Politik zur Chronik werden; gerade bei der Erfassung der tirolischen Politik sozusagen der Weg in verkehrter Linie, denn wohl kein deutsches,?^ zumindest in dieser geringen Ausdehnung, stellt eine so stark ausgesprochene, ge-