O. G, vo n W e s e n donk
Weltspiegel
Konstellation von Cannes. Der Berliner Berichterstatter des „Temps" hat hervorgehoben, daß die deutsche öffentliche Meinung jedes Mal, wenn eine Erörterung der Reparatiausfragen stattfindet, sich in Hoffnungen ergeht, die regelmäßig ebenso rasch enttäuscht würden. Deutschland rechne auf das Eingreifen irgendwelcher Faktoren, sei es Englands oder Amerikas, und um so bitterer sei dann das Erwachen. Zu besonderem Optimismus liegt auch gegenwärtig kein Anlaß vor. Für die Konferenz von Cannes hat Lloyd George zwar ein Programm mitgebracht, das einen beschränkten Zahlungsaufschub für das laufende Jahr vorsieht. Eine solche kurzfristige Vertagung bringt aber nicht die großzügige Lösung, auf die die Welt gespannt wartet. Der Verfalltermin wird lediglich hinausgeschoben.
Auch besteht noch keinerlei Gewißheit über den Gesamtbetrag, den Deutschland aufzubringeil haben wird. 500, 700 und 800 Millionen Goldincirk werden genannt, die bis z-mn April den Gläubigern übermittelt werden sollen.
Diesen recht zweifelhaften Vorteil soll Deutschland zudem durch Zugeständnisse so teuer bezahlen, daß ihm jeder Raum für eigene Entfaltung im Innern wie im Ausland genommen wird. Die Sanktionen verlieren einfach ihren rein militärischen Charakter und werden ins Wirtschaftliche übersetzt. In dieser Form läßt sich auch in Frankreich Stimmung für ein Moratorium machen, das sonst auf das schärfste bekämpft wird. Denn die Erdrosselung des deutschen Lebens bleibt bestehen. Ja, der gefährliche Gedanke taucht sogar auf. das Rheinland von der Besatzung durch die Entente ganz zu befreien, dafür aber die rheinischen Gegenden zu einem neutralen Staatswesen zu machen. Deutschlands Einheit wäre damit gesprengt und für weitere Abbröckelungen, wie die Lostrennung Bayerns, der Boden vorbereitet.
Deutsche Vertreter mit Dr. Rathenan au der Spitze sind ebenso wie österreichische Delegierte nach Cannes berufen worden. Dort sollen sie eine ähnlich« Rolle wie die deutsche Abordnung in Spaa spielen. Das Ergebnis der damaligen Verhandlungen ist gerade von nicht ermutigender Vorbedeutung. Bilden doch gerade die gegen die Warnungen der deutschen Sachkenner uns ciufgezwungenen Äohlenlieferungen den Anfang jener Kette wirtschaftlicher Fehlgriffe, die zum Zusammenbruch des Reparationssystems geführt haben. Auf Cannes soll eine allgemeine europäische Wirtschaftskonferenz folgen, bei der im März neben Deutschland auch Rnszland erscheinen wird und auf der man Amerika erwartet. Frankreich hat seine Zustimmung, die einen völligen Umschwung seiner Politik gegenüber Rußland wie Deutschland ausmacht, uur gegeben, nachdem England sich zu jenem Garantiebttndnis bereit erklärt hat, das in der Argumentation der Franzosen eine so starke Rolle spielte, wohl hauptsächlich auch in der Hoffnung, London werde von seiner überlieferten Abneigung gegeu Bedingungen auf dem Festland nicht abgehen und Frankreich also gestatten, weiterhin in wasfenstarren- der Rüstung zu bleiben. Noch iu Washington wurde der Bündnisgedanke glatt abgelehnt, dafür Frankreich das Recht zur Beibehaltung seines Heeres zugesprochen. Wenn dieses auch auf 500 000 Mann verringert werden sollte, so bleibt Frankreich durch die militärische Niicksicherung durch Großbritannien und