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Eine Rede zur Winterlichtwende 1921/22 : gehalten im Landestheater zu Stuttgart
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Eine Rede zur W i n t e r l i ch t w e n d e 1921/22

Das Märchen der Menschheit gleicht bisher noch vielfach einer Spuk­geschichte.Dem Traum eines Raubtiers" verglich es der unter dem Leben wie unter dem Druck eines Alps nachtwandelnde Dichter Hebbel. Aber es hat Wohl noch nie ein Mensch geatmet, der sich nicht nnter dem Druck des wütenden Geschicks, unter der Zeiten Spott nnd Geißel, verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub, dem Übermut und der Schmach, die Unwert schweigeudem Ver­dienst erweist, der sich nicht unter all dieser erdenhaften wie geistigen Belastung des Lebens eine Erlösung erträumt hat. Sei es dort drüben, wo die Seele sich je nach seinem Glauben im Paradiese oder im Nichtsein ein neues Quartier sucht, sei es hier auf Erden in einer einheitlicheren, schöneren Zukunft seines Ge­schlechtes. Der Weltschmerzler und Schwarzmaler kann leicht über solch einen Schnuller lächeln nnd spotten, mit dem sich der Mensch als ewiges Kind über diesen kurze» Schlaf und Tranm des Daseins hinwegtröstet. Im Grunde kann auch er ein solches Beruhigungsmittel nicht entbehren. Und selbst ein Schopen­hauer ersann sich seinen Frieden, sein Quietiv in der vom Irdischen abgelösten Hingebung au das Schöne und seiner Betrachtung in der Kunst als einer Objek- tivation des Willens. Auf diese Insel der Seligen floh der an der Menschheit verzweifelnde Denker wie der ganz erleuchtete Buddha, dessen Abbild sein Zimmer zierte, in die Betrachtung des leidlosen Nichtseins oder wie der Schwabe Hölderlin auf die Insel Jdealien im griechischen Archipelagus, die sich dem irrenden Dichter wie einst Delos der kreißenden Latona bot.

Aber uns, als den Diesseits gewandten, enthüllt sich der Himmel, Und die Aussicht wird frei in dem erwarteten Licht. Einstmals klärt sich der Menschen krauses Gewimmel Vor der Erkenntnis, die durch den Nebel schon ficht. Einstmals strahlt unsern Erben nnd Enkeln die Sonne, Die auf dem Weg von der Tierheit zur Gottheit uns führt,' Einstmals reift dies Geschlecht zu dem Höchsten, zur W o n n e, Die sein Glück an dem Glück der andern nur schürt. Laßt uns einzeln alle die Posten schon stellen Für jene Zukunft, die über den Zweifeln blüht! Jeder Mensch lebt, bedenkt es, die Welt zu erhellen, ! Liebend das Licht zu vermehren, das alles durchglüht.