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Der Musik-cLhronist
von öchrenk
Das wichtigste Ereignis der Zeitspanne, die dieser Bericht umfaßt, war die Erstaufführung des „lyrisch-phantastischen" Spieles „DieVögel" von dem Münchener Komponisten Walter Braun fels in der Staats- oper. Das Textbuch ist von Braunfels selbst nach der gleichnamigen Komödie des attischen Dichters Äristophanes verfaßt worden, und jeder, der das politisch-satirische, von beißendem Spott erfüllte griechische Original kennt, wird sich verwundert fragen, wie man sich von diesem spröden Stoffe zu einem Opernwerks anregen lassen kann. Und tatsächlich hat Vraunfels den Äristophanes auch nur sehr frei benützt. Eigentlich hält er sich nur im ersten Äkt enger an seine Vorlage; auch bei ihm ziehen die beiden biederen athenischen Bürger Hosfegut und Ratefreund aas ihrer Vaterstadt, um das Reich der Vögel zu suchen, auch bei ihm rät der eine den Gefiederten, eine Wolkenstadt zu bauen, um den Göttern den Opferdunst der Menschen abzuschneiden und sie damit zu Untertanen der nunmehr zur Weltherrschaft gelangten Vögel zu machen. Dann aber verändert er die Vorgänge erheblich. Während bei Äristophanes der Plan gelingt und Pronietheus die Kunde von der Not der Götter überbringt, spielt er in der Oper die Rolle eines Warners vor dem Zorn der Götter. Und als seine mahnenden Worte nicht beachtet werden, zerstört Zeus mit einem Blitzstrahl das Wölkenkuckucksheim der Vögel, diese aber beugen sich vor der im Ungewitter sich offenbarenden göttlichen Macht.
Braunfels ist aber nicht nur im äußerlichen Geschehen von seinem Vorbild abgewichen, sondern er hat dem Ganzen auch eine Psychologisch und ethisch tiefer fundierte Grundlage gegeben. Während bei Äristophanes die beiden Bürger Athen aus Unzufriedenheit mit den dort bestehenden unerquicklichen Zuständen verlassen, suchen sie bei Brannfels aus ganz anderen Motiven das Reich der Vögel auf; Raiefreund, weil er es nicht mit ansehen konnte, „wie auf Erden die holde Kunst entartet", und Hoffegnt, weil er, durch die Liebe enttäuscht, „im Reich der lüftefrohen Sänger ein zartes Liebchen zu finden hofft, wärmer und treuer als die trüben Erdenkinder sind". Das findet er nun zwar nicht, aber er wird durch ein ganz ins Metaphysische einmündendes Liebes-
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gespräch mit der Nachtigall im Innersten gewandelt; als ein anderer, mit brennender Sehnsucht, geht er zu den Menschen zurück, die ihn nicht verstehen. Die Nachtigall verstand er eine Stunde, selig und süß sang sie von dem, was er unbewußt immer in sich getragen . . .
Man sieht: Brannfels hat sein „lyrisch- Phantastisches" Spiel aus dem Gebiet des Tendenzvollsn und zeitpolitisch Bedingten in die Sphäre des Idealen und vollkommen Zeitlosen gezogen und schuf so ein Werk, das in seiner besonderen und tieferen Bedeutung eigentlich nur für die wenigen fein und künstlerisch Empfindenden da ist. Damit soll aber keineswegs gesagt sein, daß es irgendwie einer artistischen Grnndeinstellnng entsprungen wäre, vielmehr enthält es so viel des Naiven, Reinen, Ällgemein-Menschlichen, daß auch der große Kreis des Publikums an ihm seine Freude haben müßte. Dnrch diese Reinheit und durch seine Hinneigung zum Idealen und Übersinnlichen steht es in der einstweilen noch kleinen Reihe derjenigen Opernwerke, die sich in bewußten Gegensatz zum Naturalismus in der Mnsik stellen, also in der Linie „Arindno auf Naxos", „Frau ohne Schatten", „Rose vom Liebesgarten" und „Palestrina".
Für den Musiker bietet der Text außerordentliche Möglichkeiten, ja man kann sagen, daß er die Musik schon in sich trägt. Braunfels ist es gelungen, ihn vollkommen in Tönen aufzulösen, und er hat es verstanden, den mystisch-romantischen Grundcharakter des Ganzen in reicher Variierung durch beide Akte hindurch festzuhalten. Man merkt das vor allem an der das ganze Werk beherrschenden Stellung, die er der Nachtigall gegeben hat, die schon im Vorspiel mit ihrem romantischen Sehnsuchtsgesang den Grundakkord des Spieles angibt. Wie herrlich erwächst dann daraus das übersinnliche, in zauberhaft-romantischen Klängen schwingende Liebesgespräch zwischen dem Menschen und der Nachtigall. Solch' eine Mnsik ist in ihrer reinen, allem Erdgebundenen fernen Art seit dem Tristan nicht mehr dagewesen. Zwar kann man nicht sagen, daß in ihr ein starker dramatischer Nerv lebe, aber sie steckt, ganz abgesehen von dem glänzenden Können, mit dem sie gemacht ist, so voll köstlicher,