Beitrag 
Die Deutschen in der Kunst : Randbemerkungen zu Dehio
Seite
35
Einzelbild herunterladen
 

Die Deutschen in der Kunst

germanisch-romanisches,Zeitprodukt". So versteht er zum Beispiel auch die Vor­liebe für die Tierfigur, wie die Tierfabel, anstatt sie aus germanischer Eigenart herzuleiten, als Zeiterscheinung; angeregt war sie durch den Orient. Das Mittel­alter auf seiner Höhe strebte nach übernationaler Einigung, und die Völker, die zum Karolingerreich, dem nördlichen Teil namentlich, gehört hatten, erreichten auch eine solche. Da waren es denn die Franzosen, die die Formen dafür festzu­legen verstanden. Indem er dies aber ausspricht, am Eingang seines zweiten Bandes, bekennt sich Dehio zugleich dazu, daß die Wurzeln der Gotik im ger­manischen Gemütsboden liegen. Von einer anderen wichtigen Erscheinung, die er iin zweiten Band auf die germanische Seele zurückführt, wird gleich die Rede sein. Alles in allem zeigt er jenes vorsichtige und doch wieder beherzte Angreifen dieses heiklen Problems, wie wir es bei deutschen Historikern vielfach bei Ranke recht ähnlich fanden. Übrigens ist zu wünschen, daß unsere Historiker den anthropologischen Fragen eifriger nachgehen, damit sie nicht einfach aus mangelhafter Kenntnis zur Vorsicht, zum Zweifel und zur Ablehnung kommen.

Eine feine und tiefe Beobachtung, der ein reich ausgebildeter sprachlicher Ausdruck zu Gebote steht, widmet Dehio der Teilnahme der einzelnen deutschen Landschaften an dem allgemeinen Kunstschaffen. Bei der Frage, wie weit mehr äußere und zufällige Umstände, wie weit Stammesart die Verschiedenheit bedingt, wagt er öfters sehr bemerkenswerte Urteile.

Höchst bedeutend ist die Übersicht über das fünfzehnte Jahrhundert im zweiten Band. Mit diesem Zeitalter sieht Dehio den Primat im Norden auf die germanische Seite übergehen, und während französische Mode bei uns herrschte, solange der Adel die Führung hatte, ist dieses fünfzehnte Jahrhundert ein eminent deutsches, die am wenigsten französische Epoche unserer Kunstgeschichte, weil die Kunst jetzt viel volkstümlicher geworden ist. Sie ist bürgerlich ge­worden wie die Gesellschaft (mitsamt einem philisterhaften, hausbackenen Zug! Da nun dieses Zeitalter, das zum mindesten in der Kunst den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit vollzieht, sich durch eine frisch-behagliche Hinwendung zur irdischen Wirklichkeit auszeichnet, so wird nun, bürgerlichem Wesen ohnehin näher liegend, neben dem alten deutschen Hang zum Phantastischen und Barocken endlich der Eifer im liebevollen Nachbilden der Erscheinungen der Umwelt wach. Die Wertschätzung des Gegenständlichen in der Kunst zeigt sich schärfer als bisher. Den ältesten wie diesen spät wachgewordenen Trieben entspricht es, daß der Deutsche am liebsten Zeichner ist. Bedeutsam ist hier auch die Betrachtung, auf die das Auftreten des freien Raumes, der Tiefen- und Luftperspektive in der Malerei führt: ein germanisches Gruudgefühl, die Sehnsucht nach dem Fernen, Freien, Unendlichen äußert sich da. Dehio berührt sich mit Spengler. (II 167 ff.)

All das kann nur eine einseitige Andeutung von dem Reichtum des Werkes geben. Die fachmännischen Erörterungen etwa über die romanische Baukunst, die stufenweise erfolgte Rezeption der Gotik, die Umwandlung dieses Einheitsstiles ineinedeutscheKunstweisemitBarock-Charakterusw.sind damit kaum berührt; sie breiten aber eine ungemeine Fülle von Beobachtung und eindringendem Verständnis vor dem Leser aus. Eine Menge einzelner Kunstwerke wird lehrreich besprochen; eine Arbeit von Jahrzehnten hat alle diese feinen und knappen Bemerkungen möglich gemacht. Den Text unterstützt der reiche Schatz der Abbildungen (über ilOO Stück): neben vielem Vertrauten vieles, was den meisten unbekannt und unzu­gänglich sein wird? die Wiedergabe ist sehr zu loben, sie ist oft ganz hervor­ragend. Solche Bücher kommen noch in unserem Deutschland heraus!

55