Professor Adolf Rapp
Darum war im Kreis der bildenden Künste die Baukunst mit ihrem mathematischen Element die, in der sich der Deutsche am glücklichsten betätigt hat, und nächst ihr die Gerätekunst.
Im ersten Band wendet sich Dehio mit Schärfe gegen „die alldeutschen Schwärmer", die überall in der Welt Spuren germanischer Ersindungs- und Schöpferkraft sehen und auch in Sachen der Kunst nachweisen möchten, daß die Germanen mehr die Gebenden als die Empfangenden und Lernenden waren, und die es nicht verschmerzen können, daß wir Jahrhunderte damit zugebracht haben, Fremdes uns anzueignen, anstatt eine Kultur aus Eigenem zu entwickeln, ll. und 2. Kapitel, dann S. 311.) Erstens hebt er herbor, daß zu allen Zeiten Formlosigkeit zu unserer Art gehöre und daß wir gerade in den Zeiten schöpferischer Erhebung nns der Well der reinen und vornehmen Formen, wie wir sie dann immer wieder bei der Antike und im Süden fanden, als sehnsüchtig Lernende widmeten. Was den Deutschen des Mittelalters die byzantinische Kunst bot, war eben dies: es war das Antike in ihr. (I 214, 809-311. 350.) Immer bewegt sich die deutsche Kunst in Gegenpolen, die mit den Begriffen des Antiken oder Klassischen und des Barocken bezeichnet werden können; das Barocke aber ist das, was uns im Blute liegt. (I 328, II 149.) Zweitens aber hebt er hervor, wie doch die deutsche Innerlichkeit da. wo wir bei Fremden in die Schule gingen, mit der Meisterschaft in der Beherrschung der gelernten Formen eine Durchdringung der Formenwelt mit einem ureigenen Gehalt erreichte, der den fremden Vorbildern unbekannt war. Diese, im zwölften und dreizehnten wie im achtzehnten Jahrhundert überall zutage tretende, wahrhaft beglückende Erscheinung in unserer Geschichte ist ein Hcmptgegenstcmd für dieses Buch. (Besonders schön ausgesprochen I 311.).
Das hier angedeutete Verhältnis besteht namentlich da, wo die Deutschen von den Franzosen gelernt haben. Mit demKultus der Form, mit einer auf Konvention und Autorität gestellten Kultur konnte sich der Deutsche nicht begnügen; sein eigenes Wesen mit seinem Drang zur Selbständigkeit mußte sich die Form unterwerfen und sie umbilden. An den Bildhauerwerken des Bamberger und Naumburger Domes zeigt Dehio. wie die deutsche Persönlichkeit sich durchsetzt: bei keinem Volke hat sie sich so früh wie bei uus freigemacht. Die Klosterkirche von Laach ist ihm ein denkwürdiges Beispiel für jene Versöhnung von Gesetzlichkeit und persönlicher Freiheit, die „ein deutsches Ideal" ist. Ein Deukmal aber einer merkwürdigen, nie wieder erlebten freundschaftlichen Verbindung deutscher mit französischer Art ist ihm das Straßburger Münster. Fein spricht er über die Bedeutung des französischen Geistes, der im Mittelalter schon wesentlich dieselben Eigenschaften hatte, wie im achtzehnten Jahrhundert.
Diese letzte Beobachtung erinnert an die ganz andere Ansicht, nach der das Frankreich des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts sich von dem des siebzehnten und achtzehnten gerade dadurch uuterscheide, daß es unserer Art noch weit näher stehe, daß es noch vorwaltend germanisch sei. Für diese Ansicht läßt sich manches anführen, aber die Ähnlichkeit zwischen der früheren und der späteren Art, in Hinsicht auf den germanischen Bestandteil, überwiegt doch wohl die Verschiedenheit. Germanischer war das mittelalterliche Frankreich im staatlich-gesellschaftlichen Leben, dessen Träger ja der großenteils noch germanische Adel war, und davon hauptsächlich ging auch jene Ansicht aus; in der Kunst und den geistigen Erzeugnissen ist das Verhältnis ein etwas anderes. Man ist aber in dem Versuch, Kulturäußerungen aus die Rasse uud ihre Mischung zurückzuführen, oft sehr verwegen vorgegangen. Dehio warnt mit Recht davor. Seiu erster Band wendet sich wiederholt sarkastisch gegen die Versuche, alle möglichen Erscheinungen im germanisch-romanischen Kulturkreis nachträglich für die germanische Nasse zu erobern, und ebenso lehnt er es ab, die Gotik etwa aus einer französischen Nasse zu erklären. Er betont, sie sei ein, allerdings nordisches,
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